Armut ist kein Schicksal

 

 

"Reicher Mann und armer Mann

standen da und sah'n sich an.

Und der Arme sagte bleich:

Wär' ich nicht arm

wärst du nicht reich."

 

Bert Brecht

 

 

Ein Mensch gilt in Österreich als armutsgefährdet, wenn ihm monatlich weniger als 785 Euro, das sind  60% des durchschnittlichen pro-Kopf-Einkommens, zur Deckung der grundlegenden Bedürfnisse (Wohnen, Nahrung, Kleidung) zur Verfügung stehen.[1]

Laut aktuellem Sozialbericht[2] sind bereits 1.044.000 Menschen (13,2% der Bevölkerung) armutsgefährdet.

"Akut arm" ist, wer zusätzlich zum geringen Einkommen eines oder mehrere Probleme bei der Abdeckung grundlegender Lebensbedürfnisse hat:

- Schlechte Wohnung (Substandard, bzw. beengte Wohnverhältnisse)

- Zahlungsrückstände bei Miete, Betriebskosten und Krediten

- Finanziell bedingte Einschränkungen beim Beheizen der Wohnung

- Unmöglichkeit, abgenutzte Kleidung durch neue zu ersetzen

- Unmöglichkeit, zumindest einmal im Monat nach Hause zum Essen einzuladen.

 

460.000 Menschen in Österreich (5,9% der Bevölkerung) sind davon betroffen. [3]

Ihre Zahl ist seit dem letzten Sozialbericht um 160.000 gestiegen.

 

Besonders betroffen sind (Langzeit-)Arbeitslose[4], MigrantInnen, Behinderte, PensionistInnen[5], AlleinerzieherInnen und kinderreiche Familien, Menschen mit geringer Schulbildung, Frauen, Menschen im ländlichen Raum und Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen (eine oder mehrere geringfügige Beschäftigungen, Arbeit auf Werkvertragsbasis oder freier DienstnehmerInnenvertrag) oder einem Teilzeitjob ("working poor").

 

 

Armut und Reichtum nehmen gleichzeitig zu

 

Während mehr als eine Million Menschen in Österreich arm oder armutsgefährdet sind, haben 250.000 ÖsterreicherInnen mehr als 70.000 Euro Geldvermögen oder Jahreseinkommen, 60.000 Menschen sind Euro-Millionäre und die 100 reichsten ÖsterreicherInnen besaßen bereits 2001 zusammen 6 mal so viel wie die armen und ärmsten Menschen in einem Jahr an Einkommen hatten.[6]

Mit Jahresende 2003 gab es in Österreich bereits 1.323 Milliarden Euro Geld- und 782 Milliarden Sachvermögen (davon gehören 70% der Wirtschaft und der Finanzwirtschaft), die Einkommen aus Vermögen (Zinsen, Dividenden) sind bereits so hoch wie sämtliche Sozial- und Sozialversicherungsleistungen (60 Milliarden Euro)!

13,3 % der ArbeitnehmerInnenentgelte wurden 2003 als Lohnsteuer abgeliefert, aber nur 7,7% der Selbständigeneinkommen und Betriebsüberschüsse in Form von Einkommens-und Körperschaftssteuer.

Während die Gesamtwirtschaft Österreichs zwischen 1993 und 2000 um 31,42% gewachsen ist, sind die Löhne und Gehälter nur um 23,85% gestiegen. 

"Da die Sozialbeiträge der Unternehmer zur Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Pensionsversicherung und Unfallversicherung derzeit allein von den Löhnen und Gehältern berechnet werden, kommt der Sozialstaat "automatisch" unter Finanzierungsdruck. Wären die Einnahmen beispielsweise in der sozialen Krankenversicherung genauso gewachsen wie die Gesamtwirtschaft, so hätten die Krankenkassen überhaupt kein Defizit und die Pensionen wären auch ohne Leistungskürzungen gesichert." [7]

 

Während ArbeitnehmerInnen, Kranke, PensionsitInnen etc. zunehmend zur Kasse gebeten werden, reiht die OECD Österreich bei der Vermögensbesteuerung (Vermögen-, Erbschafts-, Grundsteuern) mit 1,3% (aller Steuern und Beiträge)  sogar an letzter Stelle. [8]

Insbesondere durch die Möglichkeit, Vermögen in Privatstiftungen anzulegen, die per einstimmigem Nationalratsbeschluss seit 1.9.1993 nicht mehr gemeinnützig und mildtätig sein müssen, wurde hier ein Steuerparadies für Reiche geschaffen. Das in Privatstiftungen geparkte Vermögen wird auf 40 bis 45 Milliarden Euro geschätzt, zwei Drittel davon entfallen auf Unternehmensbeteiligungen, Einkommen daraus werden degressiv besteuert: je mehr Vermögen, desto weniger Steuern sind zu zahlen, völlig steuerfrei sind z.B. Dividenden aus in- und ausländischen Aktien.

Zu den großen "Stiftern" gehören in Österreich Unternehmer wie Frank Stronach, Dietrich Mateschitz, Hans-Peter Haselsteiner, Karl Wlaschek, Richard Lugner, Robert Hartlauer, Karl Flick, Politiker wie Martin Bartenstein und Thomas Prinzhorn und der alte Adel (Auersperg, Czernin, Schwarzenberg).

 

 

Verdrängen, Verstecken, Durchwurschteln

 

"Self-made-Millionäre" wie Frank Stronach werden von vielen bewundert und geachtet, von PolitikerInnen hofiert.

In einer Gesellschaft, die nur die "Besten", die "Cleveren" und die "SiegerInnen" kennt, in der jedEr angeblich "seines Glückes Schmied" ist, wird Armut selbst von den Betroffenen oft als individuelles Versagen empfunden.

"Das geht so weit, dass die Scham über die eigene Armut und die Angst vor den sozialen Folgen größer sein kann, als das Leiden an der Armut selbst." [9]

Individuelle Strategien im Umgang mit der eigenen Armut ähneln dabei den öffentlichen: Verdrängen, Verstecken, Durchwurschteln.

Die eigene Lage wird umdefiniert: aus Mangelerfahrung wird Bescheidenheit, aus Belastung Leistung.

Erst zu einem relativ späten Zeitpunkt, wenn alle privaten und informellen Ressourcen erschöpft sind, werden öffentliche Hilfesysteme in Anspruch genommen, wobei die Betroffenen oft das Gefühl haben "die Verantwortung für sich selbst an die öffentliche Hand und ihre Hilfeagenturen zu übertragen." [10]

Für Martin Schenk von der Österreichischen Armutskonferenz weisen zahlreiche Indikatoren auf das gestiegene Armutsrisiko hin, u.a. gibt es immer längere Wartelisten bei den Schuldnerberatungen und eine steigende Zahl an Menschen in psychischen Krisen bei den psychosozialen Diensten. [11]

 

 

Romana Scheiblmaier

 

 

Erstmals erschienen in „Ausreißer“, Grazer Wandzeitung, Nr.4, März 2005

 

Siehe

 

http://kig.mur.at/

 

 

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[1] Die Schwellenwerte variieren je nach Haushaltsgröße, für einen Erwachsenen und ein Kind liegt der Wert bei 1.044 Euro, für 2 Erwachsene und 3 Kinder bei 1.954 Euro.

[2] Bericht über die soziale Lage 2003/2004. Bundesministerium für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz, www.bmsg.gv.at

[3] ebd.

[4] Die durchschnittliche Notstandshilfe lag für Männer im Jahr 2003 bei 607, für Frauen bei 475 Euro! Quelle: Armutskonferenz.

[5] Die durchschnittliche Frauenpension lag 2002 bei 683 Euro (Männer 1.427 Euro), 40% aller Frauen haben überhaupt keinen eigenen Pensionsanspruch. Quelle: Armutskonferenz.

[6] Alle folgenden Zahlen aus: Armuts- und Reichtumsbericht für Österreich. Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung, www.politikberatung.or.at

[7] Folder der Armutskonferenz.

[8] ebd.

[9] Armut im Wohlstand. Regionaler Armutsbericht für das Bundesland Salzburg 2002.

[10] ebd.

[11] Presseaussendung der Armutskonferenz, APA 4.2.2005.

 

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