Fast
eine Milliarde Menschen hungern, die Massenarmut frisst sich von der Peripherie
in die Zentren voran. Aber kein Meteor hat die Erde getroffen, auch der
Atomkrieg ist ausgeblieben, die Ernten sind gut, Wissen und technische
Hilfsmittel stehen in überreichem Ausmaß zur Verfügung. Was leider fehlt, sagt
man uns händeringend, seien genügend »Arbeitsplätze«. Während ungeheure
Ressourcen vor unseren Augen brachliegen und andere in sonderbaren
Pyramidenprojekten verschwinden, öden Politikdarsteller, Menschen- und
Krisenverwalter, Management-Gurus und Querdenker die Öffentlichkeit auf allen
Kanälen mit einem Dauerdiskurs über die »Schaffung von Arbeitsplätzen« an. Die
Bevölkerung ganzer Regionen wimmert nach dem »Investor«, weil sie sonst ihre
eigenen Köpfe und Hände nicht mehr »beschäftigen« kann. Was ist das für eine
verrückte Gesellschaftsordnung, die derartige Absurditäten möglich
macht?
Den
wenigsten ist heute noch bewusst, dass die abstrakte »Arbeit« in den
Zuchthäusern und sogenannten Irrenanstalten des 17. und 18. Jahrhunderts
erfunden wurde, als die Menschen von den frühmodernen Despotien zur
»Beschäftigung« für ihnen fremde Zwecke gezwungen wurden. Das ständige Gerede
von »Beschäftigungsmöglichkeiten« entstammt eigentlich einem Anstaltsjargon. Was
einstmals als äußerer Zwang begann, hat sich heute zu einem verselbständigten
System der allgemeinen Entmündigung entwickelt, in dem die Menschen wie
Geisteskranke, Sträflinge oder Fünfjährige im Kindergarten »beschäftigt« werden
sollen, statt gemeinsam Sinn und Zweck ihres Tuns zu bestimmen. Dieses
irrationale System stößt jedoch zunehmend an Grenzen. Denn wie uns die
Spezialisten der »Bundesanstalt für Arbeit« sagen, wird es leider nie mehr
»Vollbeschäftigung« geben.
Wir
haben es mit Zuständen zu tun, die nach radikaler Kritik geradezu schreien. Aber
die bisherige Gesellschaftskritik zeigt sich paralysiert, weil sie selbst tiefer
in die Logik des herrschenden Wahnsystems verstrickt ist, als sie wahrhaben
will. Alles hätten sich Arbeiterbewegung, Gewerkschaften, sozialistische und
kommunistische Parteien vorstellen können, nur eines nicht: dass einmal der
»Standpunkt der Arbeit« selbst hoffnungslos obsolet werden könnte. Erst in der
Weltkrise am Ende des 20. Jahrhunderts stellt sich heraus, wie sehr die
vermeintlich überhistorische Kategorie »Arbeit« in Wahrheit die spezifische, von
allen Bedürfnissen losgelöste Tätigkeitsform des modernen warenproduzierenden
Systems ist. Wenn die bitter nötige radikale Kapitalismuskritik jemals wieder
Fuß fassen will, muss sie sich in einer kopernikanischen Wende gegen die
»Arbeit« selbst richten. Wir brauchen keine »Beschäftigung«, sondern einen
vernünftigen Einsatz der Produktivkräfte, die längst über »Arbeitsgesellschaft«
und Warenproduktion hinausgewachsen sind.
Die
folgenden »Attacken gegen die Arbeit« sind Produkte eines Diskurses, der seit
Ende der 80er Jahre im Kontext der Theoriezeitschrift »Krisis - Beiträge zur
Kritik der Warengesellschaft« geführt wird. Wir wollen damit keine endgültigen
Wahrheiten verkünden. Es geht vielmehr darum, das Feld einer Debatte zu
eröffnen, vor der die Linke bisher zurückscheut, weil ihr eine abgelebte
Geschichte noch in den Knochen steckt. Parallel zu diesem Buch ist ein »Manifest
gegen die Arbeit« erschienen.
Nürnberg, im August 1999 Die Herausgeber
Manifest
gegen die Arbeit (copy left)
Dead
man working. Gebrauchsanweisungen
zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs (Buchtipp)
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