MANIFEST GEGEN DIE ARBEIT - 3. Auflage
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Übersetzungen : italiano: Manifesto contro il lavoro - in russian - in persian - français: manifeste contre le travail -
Español: Manifiesto contra el
trabajo
Kritiken und Antikritiken zum Manifest: Wenn der Berg kreißt und eine Maus gebiert -- Charles Reeve /
Bemerkungen zum Manifest -- Jaime
Semprun / Kommentare und Gedanken zur Krise der Arbeit -- Les Editions Rouge
et Noir / Anmerkungen zum Manifest -- Luca Santini / Arbeitskritik und soziale Emanzipation. Eine Replik auf Kritiken
am Manifest -- Norbert Trenkle / Kapitulation vorm Kapitalismus. Zu den linken Abwehr-Reaktionen
auf das Manifest -- Norbert Trenkle
Gruppe Krisis
Manifest gegen die Arbeit
1. Die Herrschaft der toten Arbeit
Ein Leichnam beherrscht die Gesellschaft - der Leichnam der Arbeit. Alle
Mächte rund um den Globus haben sich zur Verteidigung dieser Herrschaft
verbündet: Der Papst und die Weltbank, Tony Blair und Jörg Haider,
Gewerkschaften und Unternehmer, deutsche Ökologen und französische Sozialisten.
Sie alle kennen nur eine Parole: Arbeit, Arbeit, Arbeit!
Wer das Denken noch
nicht verlernt hat, erkennt unschwer die Bodenlosigkeit dieser Haltung. Denn die
von der Arbeit beherrschte Gesellschaft erlebt keine vorübergehende Krise, sie
stößt an ihre absolute Schranke. Die Reichtumsproduktion hat sich im Gefolge der
mikroelektronischen Revolution immer weiter von der Anwendung menschlicher
Arbeitskraft entkoppelt - in einem Ausmaß, das bis vor wenigen Jahrzehnten nur
in der Science-fiction vorstellbar war. Niemand kann ernsthaft behaupten, daß
dieser Prozeß noch einmal zum Stehen kommt oder gar umgekehrt werden kann. Der
Verkauf der Ware Arbeitskraft wird im 21. Jahrhundert genauso aussichtsreich
sein wie im 20. Jahrhundert der Verkauf von Postkutschen. Wer aber in dieser
Gesellschaft seine Arbeitskraft nicht verkaufen kann, gilt als "überflüssig" und
wird auf der sozialen Müllhalde entsorgt.
Wer nicht arbeitet, soll auch
nicht essen! Dieser zynische Grundsatz gilt noch immer - und heute mehr denn je,
gerade weil er hoffnungslos obsolet wird. Es ist absurd: Die Gesellschaft war
niemals so sehr Arbeitsgesellschaft wie in einer Zeit, in der die Arbeit
überflüssig gemacht wird. Gerade in ihrem Tod entpuppt sich die Arbeit als
totalitäre Macht, die keinen anderen Gott neben sich duldet. Bis in die Poren
des Alltags und bis in die Psyche hinein bestimmt sie das Denken und Handeln. Es
wird kein Aufwand gescheut, um das Leben des Arbeitsgötzen künstlich zu
verlängern. Der paranoide Schrei nach "Beschäftigung" rechtfertigt es, die
längst erkannte Zerstörung der Naturgrundlagen sogar noch zu forcieren. Die
letzten Hindernisse für die totale Kommerzialisierung aller sozialen Beziehungen
dürfen kritiklos hinweggeräumt werden, wenn ein paar elende "Arbeitsplätze" in
Aussicht stehen. Und der Satz, es sei besser, "irgendeine" Arbeit zu haben als
keine, ist zum allgemein abverlangten Glaubensbekenntnis geworden.
Je
unübersehbarer es wird, daß die Arbeitsgesellschaft an ihrem definitiven Ende
angelangt ist, desto gewaltsamer wird dieses Ende aus dem öffentlichen
Bewußtsein verdrängt. So unterschiedlich die Methoden der Verdrängung auch sein
mögen, sie haben einen gemeinsamen Nenner: Die weltweite Tatsache, daß sich die
Arbeit als irrationaler Selbstzweck erweist, der sich selber obsolet gemacht
hat, wird mit der Sturheit eines Wahnsystems in das persönliche oder kollektive
Versagen von Individuen, Unternehmen oder "Standorten" umdefiniert. Die
objektive Schranke der Arbeit soll als subjektives Problem der Herausgefallenen
erscheinen.
Gilt den einen die Arbeitslosigkeit als Produkt überzogener
Ansprüche, fehlender Leistungsbereitschaft und Flexiblität, so werfen die
anderen "ihren" Managern und Politikern Unfähigkeit, Korruption, Gewinnsucht
oder Standortverrat vor. Und schließlich sind sich alle mit Ex-Bundespräsident
Roman Herzog einig: Es müsse ein sogenannter "Ruck" durch das Land gehen, ganz
so, als handelte es sich um das Motivationsproblem einer Fußballmannschaft oder
einer politischen Sekte. Alle sollen sich "irgendwie" gewaltig am Riemen reißen,
auch wenn der Riemen längst abhanden gekommen ist, und alle sollen "irgendwie"
kräftig anpacken, auch wenn es gar nichts mehr (oder nur noch Unsinniges) zum
Anpacken gibt. Der Subtext dieser unfrohen Botschaft ist unmißverständlich: Wer
trotzdem nicht die Gnade des Arbeitsgötzen findet, ist selber schuld und kann
mit gutem Gewissen abgeschrieben oder abgeschoben werden.
Dasselbe Gesetz
des Menschenopfers gilt im Weltmaßstab. Ein Land nach dem anderen wird unter den
Rädern des ökonomischen Totalitarismus zermalmt und beweist damit immer nur das
eine: Es hat sich an den sogenannten Marktgesetzen vergangen. Wer sich nicht
bedingungslos und ohne Rücksicht auf Verluste dem blinden Lauf der totalen
Konkurrenz "anpaßt", den bestraft die Logik der Rentabilität. Die
Hoffnungsträger von heute sind der Wirtschaftsschrott von morgen. Die
herrschenden ökonomischen Psychotiker lassen sich dadurch in ihrer bizarren
Welterklärung nicht im geringsten erschüttern. Drei Viertel der Weltbevölkerung
sind bereits mehr oder weniger zum sozialen Abfall erklärt worden. Ein
"Standort" nach dem anderen stürzt ab. Nach den desaströsen
"Entwicklungsländern" des Südens und nach der staatskapitalistischen Abteilung
der Weltarbeitsgesellschaft im Osten sind die marktwirtschaftlichen
Musterschüler Südostasiens ebenso im Orkus des Zusammenbruchs verschwunden. Auch
in Europa breitet sich längst die soziale Panik aus. Die Ritter von der
traurigen Gestalt in Politik und Management aber setzen ihren Kreuzzug im Namen
des Arbeitsgötzen nur umso verbissener fort.
Jeder muß von seiner Arbeit leben können, heißt der aufgestellte Grundsatz. Das Lebenkönnen ist sonach durch die Arbeit bedingt, und es gibt kein solches Recht, wo die Bedingung nicht erfüllt worden.
(Johann Gottlieb Fichte, Grundlagen des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 1797)
2. Die neoliberale Apartheidsgesellschaft
Eine auf das irrationale Abstraktum Arbeit zentrierte Gesellschaft entwickelt
zwangsläufig die Tendenz zur sozialen Apartheid, wenn der erfolgreiche Verkauf
der Ware Arbeitskraft von der Regel zur Ausnahme wird. Alle Fraktionen des
parteiübergreifenden Arbeits-Lagers haben diese Logik längst klammheimlich
akzeptiert und helfen selber kräftig nach. Sie streiten nicht mehr darüber, ob
immer größere Teile der Bevölkerung an den Rand gedrängt und von jeder
gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden, sondern nur noch darüber, wie
diese Selektion durchgepeitscht werden soll.
Die neoliberale Fraktion
überläßt das schmutzige sozialdarwinistische Geschäft vertrauensvoll der
"unsichtbaren Hand" des Marktes. In diesem Sinne werden die sozialstaatlichen
Netze abgebaut, um all diejenigen möglichst geräuschlos zu marginalisieren, die
in der Konkurrenz nicht mehr mithalten können. Als Mensch wird nur noch
anerkannt, wer zur Bruderschaft der feixenden Globalisierungsgewinnler gehört.
Alle Ressourcen des Planeten werden ganz selbstverständlich für die
kapitalistische Selbstzweckmaschine usurpiert. Wenn sie dafür nicht mehr
rentabel mobilisierbar sind, müssen sie brachliegen, selbst wenn daneben ganze
Populationen dem Hunger anheimfallen.
Zuständig für den lästigen "Humanmüll"
sind die Polizei, die religiösen Erlösungssekten, die Mafia und die Armenküchen.
In den USA und in den meisten Staaten Mitteleuropas sitzen inzwischen mehr
Menschen im Gefängnis als in jeder durchschnittlichen Militärdiktatur. Und in
Lateinamerika werden täglich mehr Straßenkinder und andere Arme von
marktwirtschaftlichen Todesschwadronen gekillt als Oppositionelle in den Zeiten
der schlimmsten politischen Repression. Nur noch eine gesellschaftliche Funktion
bleibt den Ausgestoßenen: die des abschreckenden Beispiels. Ihr Schicksal soll
alle, die sich bei der arbeitsgesellschaftlichen "Reise nach Jerusalem" noch im
Rennen befinden, im Kampf um die letzten Plätze immer weiter anstacheln und
selbst noch die Masse der Verlierer in hektischer Bewegung halten, damit sie gar
nicht erst auf den Gedanken kommen, gegen die unverschämten Zumutungen zu
rebellieren.
Doch auch um den Preis der Selbstaufgabe sieht die schöne neue
Welt der totalitären Marktwirtschaft für die meisten nur noch einen Platz als
Schattenmenschen in der Schattenwirtschaft vor. Sie haben sich als
Billigstarbeiter und demokratische Sklaven der "Dienstleistungsgesellschaft" den
besserverdienenden Globalisierungsgewinnlern demütig anzudienen. Die neuen
"arbeitenden Armen" dürfen den restlichen Business-Men der sterbenden
Arbeitsgesellschaft die Schuhe putzen, ihnen verseuchte Hamburger verkaufen oder
ihre Einkaufszentren bewachen. Wer sein Gehirn an der Garderobe abgegeben hat,
kann dabei sogar vom Aufstieg zum Service-Millionär träumen.
In den
angelsächsischen Ländern ist diese Horror-Welt für Millionen bereits Realität,
in der Dritten Welt und in Osteuropa sowieso; und in Euro-Land zeigt man sich
entschlossen, den bestehenden Rückstand zügig aufzuholen. Die einschlägigen
Wirtschaftsblätter machen jedenfalls längst kein Geheimnis mehr daraus, wie sie
sich die ideale Zukunft der Arbeit vorstellen: Die Kinder der Dritten Welt, die
an verpesteten Straßenkreuzungen die Scheiben der Autos putzen, sind das
leuchtende Vorbild "unternehmerischer Initiative", an dem sich die Arbeitslosen
in der hiesigen "Dienstleistungswüste" gefälligst zu orientieren haben. "Das
Leitbild der Zukunft ist das Individuum als Unternehmer seiner Arbeitskraft und
Daseinsvorsorge" schreibt die "Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten
Bayern und Sachsen". Und: "Die Nachfrage nach einfachen personenbezogenen
Diensten ist umso größer, je weniger die Dienste kosten, und das heißt die
Dienstleister verdienen." In einer Welt, in der es noch menschliche
Selbstachtung gibt, müßte diese Aussage den sozialen Aufstand provozieren. In
einer Welt von domestizierten Arbeitstieren wird sie nur ein hilfloses Nicken
hervorrufen.
Der Gauner hatte die Arbeit zerstört, trotzdem aber den Lohn eines Arbeiters sich weggenommen; nun soll er arbeiten ohne Lohn, dabei aber den Segen des Erfolgs und Gewinnes selbst in der Kerkerzelle ahnen. [...] Er soll zur sittlichen Arbeit als einer freien persönlichen Tat erzogen werden durch Zwangsarbeit.
(Wilhelm Heinrich Riehl, Die deutsche Arbeit, 1861)
3. Die neo-sozialstaatliche Apartheid
Die anti-neoliberalen Fraktionen des gesamtgesellschaftlichen
Arbeits-Lagers mögen sich zwar mit dieser Perspektive nicht so recht anfreunden,
aber gerade für sie steht unverrückbar fest, daß ein Mensch ohne Arbeit kein
Mensch ist. Nostalgisch auf die Nachkriegsära fordistischer Massenarbeit
fixiert, haben sie nichts anderes im Sinn, als diese verflossenen Zeiten der
Arbeitsgesellschaft neu zu beleben. Der Staat soll doch noch einmal richten,
wozu der Markt nicht mehr in der Lage ist. Die vermeintliche
arbeitsgesellschaftliche Normalität soll durch "Beschäftigungsprogramme",
kommunale Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger, Standortsubventionen,
Verschuldung und andere politische Maßnahmen weitersimuliert werden. Dieser
halbherzig aufgewärmte Arbeits-Etatismus hat zwar nicht den Hauch einer Chance,
trotzdem bleibt er ideologischer Bezugspunkt für breite, vom Absturz bedrohte
Bevölkerungsschichten. Und gerade in ihrer Hoffnungslosigkeit ist die daraus
resultierende Praxis alles andere als emanzipatorisch.
Die ideologische
Verwandlung der "knappen Arbeit" ins erste Bürgerrecht schließt konsequent alle
Nicht-Staatsbürger aus. Die soziale Selektionslogik wird also nicht in Frage
gestellt, sondern nur anders definiert: Der individuelle Überlebenskampf soll
durch ethnisch-nationalistische Kriterien entschärft werden. "Inländische
Tretmühlen nur für Inländer", schreit es aus der Volksseele, die in der
perversen Liebe zur Arbeit noch einmal zur Volksgemeinschaft findet. Der
Rechtspopulismus macht aus dieser Schlußfolgerung keinerlei Hehl. Seine Kritik
an der Konkurrenzgesellschaft läuft nur auf die ethnische Säuberung in den
schrumpfenden Zonen des kapitalistischen Reichtums hinaus.
Dagegen will der
gemäßigte Nationalismus sozialdemokratischer oder grüner Prägung zwar die
alteingesessenen Arbeitsimmigranten als Inländer gelten lassen und bei
kratzfüßigem Wohlverhalten und garantierter Harmlosigkeit sogar zu Staatsbürgern
machen. Doch die verschärfte Ausgrenzung von Flüchtlingen aus Ost und Süd kann
dadurch nur umso besser populistisch legitimiert und umso geräuschloser
betrieben werden - natürlich stets verborgen hinter einem Wortschwall von
Humanität und Zivilität. Die Menschenjagd auf "Illegale", die sich an
inländische Arbeitsplätze heranschleichen wollen, soll möglichst keine häßlichen
Blut- und Brandflecken auf deutschem Boden hinterlassen. Dafür gibt es den
Grenzschutz, die Polizei und die Pufferländer von Schengenland, die alles ganz
nach Recht und Gesetz und am besten fernab aller Fernsehkameras erledigen.
Die staatliche Arbeits-Simulation ist schon von Haus aus gewalttätig und
repressiv. Sie steht für den unbedingten Willen, die Herrschaft des
Arbeitsgötzen auch nach seinem Tod mit allen verfügbaren Mitteln
aufrechtzuerhalten. Dieser arbeitsbürokratische Fanatismus läßt die
Herausgefallenen, die Arbeits- und Chancenlosen und all diejenigen, die sich aus
gutem Grund der Arbeit verweigern, nicht einmal in den ohnehin schon erbärmlich
engen Rest-Nischen des abgerissenen Sozialstaats zur Ruhe kommen. Sie werden von
Sozialarbeitern und Arbeitsvermittlerinnen ins Licht der staatlichen
Verhörlampen gezerrt und zu einem öffentlichen Kotau vor dem Thron des
herrschenden Leichnams gezwungen.
Gilt vor Gericht normalerweise der
Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten", so hat sich hier die Beweislast
umgekehrt. Wollen sie künftig nicht von Luft und christlicher Nächstenliebe
leben, dann müssen die Herausgefallenen jede Schmutz- und Sklavenarbeit und jede
noch so absurde "Beschäftigungsmaßnahme" akzeptieren, um ihre bedingungslose
Arbeitsbereitschaft zu demonstrieren. Ob das, was sie zu tun bekommen, auch nur
im entferntesten einen Sinn hat oder der schieren Absurdität verfällt, ist dabei
vollkommen egal. Nur in permanenter Bewegung sollen sie bleiben, damit sie
niemals vergessen, nach welchem Gesetz sich ihre Existenz zu vollziehen hat.
Früher haben Menschen gearbeitet, um Geld zu verdienen. Heute scheut der
Staat keine Kosten, damit Hunderttausende in absonderlichen
"Trainingswerkstätten" oder "Beschäftigungsfirmen" die verschwundene Arbeit
simulieren und sich fit für reguläre "Arbeitsplätze" machen, die sie nie
erhalten werden. Immer neue und immer dümmere "Maßnahmen" werden erfunden, nur
um den Schein zu wahren, daß die leerlaufende gesellschaftliche Tretmühle bis in
alle Ewigkeit in Gang bleiben kann. Je sinnloser der Arbeitszwang wird, desto
brutaler soll den Menschen ins Hirn gehämmert werden, daß es kein Brötchen
umsonst gibt.
In dieser Hinsicht erweisen sich "New Labour" und seine
Nachahmer überall in der Welt als durchaus kompatibel mit dem neoliberalen
Modell der sozialen Selektion. Durch die Simulation von "Beschäftigung" und das
Vorgaukeln einer positiven Zukunft der Arbeitsgesellschaft wird die moralische
Legitimation geschaffen, umso härter gegen Arbeitslose und Arbeitsverweigerer
vorzugehen. Gleichzeitig drücken staatlicher Arbeitszwang, Lohnsubventionen und
sogenannte "ehrenamtliche Bürgerarbeit" die Arbeitskosten immer weiter nach
unten. So wird der wuchernde Sektor von Billiglohn und Armutsarbeit massiv
gefördert.
Die sogenannte aktive Arbeitspolitik nach dem Modell von "New
Labour" verschont nicht einmal chronisch Kranke und alleinerziehende Mütter mit
Kleinkindern. Wer staatliche Unterstützung bekommt, wird erst dann aus dem
amtlichen Würgegriff entlassen, wenn sein Namensschild am großen Zeh hängt. Der
einzige Sinn dieser Zudringlichkeit besteht darin, möglichst viele Menschen
davon abzuhalten, überhaupt noch irgendwelche Ansprüche an den Staat zu stellen
und den Herausgefallenen derart widerliche Folterwerkzeuge zu zeigen, daß jede
Elendsarbeit vergleichsweise angenehm erscheinen muß.
Offiziell schwingt der
paternalistische Staat die Peitsche immer nur aus Liebe und in der Absicht,
seine als "arbeitsscheu" denunzierten Kinder im Namen ihres besseren Fortkommens
streng zu erziehen. Tatsächlich haben die "pädagogischen" Maßnahmen einzig und
allein das Ziel, die Klienten aus dem Haus zu prügeln. Welchen anderen Sinn
sollte es sonst machen, Arbeitslose zur Spargelernte auf die Felder
zwangszuverpflichten? Dort sollen sie polnische Saisonarbeiter verdrängen, die
den Hungerlohn nur deswegen akzeptieren, weil er sich durch die
Wechselkursverhältnisse für sie zuhause in ein annehmbares Entgelt verwandelt.
Den Zwangsarbeitern aber wird mit dieser Maßnahme weder geholfen noch gar
irgendeine "Berufsperspektive" eröffnet. Und auch für die Spargelbauern sind die
verdrossenen Akademiker und Facharbeiter, mit denen sie beglückt werden, ein
einziges Ärgernis. Wenn aber nach dem Zwölfstundentag auf deutschem Mutterboden
die blöde Idee, aus Verzweiflung eine Würstchenbude aufzumachen, plötzlich in
freundlicherem Licht erscheint, dann hat die "Flexibilisierungshilfe" ihre
erwünschte neubritische Wirkung gezeitigt.
Jeder Job ist besser als keiner.
(Bill Clinton, 1998)Kein Job ist so hart wie keiner.
(Motto einer Plakatausstellung der Bundekoordinierungsstelle der Erwerbsloseninitiativen in Deutschland, 1998)Bürgerarbeit soll belohnt werden, nicht entlohnt. [...] Aber wer in Bürgerarbeit tätig ist, verliert auch den Makel der Arbeitslosigkeit und des Sozialhilfeempfängers.
(Ulrich Beck, Die Seele der Demokratie, 1997)
4. Zuspitzung und Dementi der Arbeitsreligion
Der neue Arbeitsfanatismus, mit dem diese Gesellschaft auf den Tod ihres
Götzen reagiert, ist die logische Fortsetzung und Endstufe einer langen
Geschichte. Seit den Tagen der Reformation haben alle tragenden Kräfte der
westlichen Modernisierung die Heiligkeit der Arbeit gepredigt. Vor allem in den
letzten 150 Jahren waren sämtliche Gesellschaftstheorien und politischen
Strömungen von der Idee der Arbeit geradezu besessen. Sozialisten und
Konservative, Demokraten und Faschisten haben sich bis aufs Messer bekämpft,
aber trotz aller Todfeindschaft immer gemeinsam dem Arbeitsgötzen geopfert. "Die
Müßiggänger schiebt beiseite" hieß es im Text der internationalen Arbeiterhymne
- und "Arbeit macht frei" echote es schauerlich über dem Tor von Auschwitz. Die
pluralistischen Nachkriegs-Demokratien schworen erst recht auf die immerwährende
Diktatur der Arbeit. Selbst die Verfassung des stockkatholischen Bayern belehrt
die Bürger ganz im Sinne der von Luther ausgehenden Tradition: "Arbeit ist die
Quelle des Volkswohlstandes und steht unter dem besonderen Schutz des Staates."
Am Ende des 20. Jahrhunderts haben sich alle ideologischen Gegensätze nahezu
verflüchtigt. Übrig geblieben ist das gnadenlose gemeinsame Dogma, die Arbeit
sei die natürliche Bestimmung des Menschen.
Heute dementiert die
arbeitsgesellschaftliche Wirklichkeit selber dieses Dogma. Die Priester der
Arbeitsreligion haben immer gepredigt, der Mensch sei seiner angeblichen Natur
nach ein "animal laborans". Er werde überhaupt erst zum Menschen, indem er wie
einst Prometheus den Naturstoff seinem Willen unterwerfe und sich in seinen
Produkten verwirkliche. Dieser Mythos des Welteroberers und des Demiurgen, der
seine Berufung habe, war zwar schon immer ein Hohn auf den Charakter des
modernen Arbeitsprozesses, aber er mochte im Zeitalter der Erfinderkapitalisten
vom Schlage Siemens oder Edison und ihrer Facharbeiterbelegschaften noch ein
reales Substrat besessen haben. Mittlerweile aber ist dieser Gestus vollends
absurd geworden.
Wer heute noch nach Inhalt, Sinn und Zweck seiner Arbeit
fragt, wird verrückt - oder zum Störfaktor für das selbstzweckhafte
Funktionieren der gesellschaftlichen Maschine. Der einstmals arbeitsstolze homo
faber, der das, was er tat, auf seine bornierte Art noch ernst nahm, ist so
altmodisch wie eine mechanische Schreibmaschine geworden. Die Mühle hat um jeden
Preis zu laufen, und damit basta. Für die Sinnerfindung sind die Werbeabteilung
und ganze Heerscharen von Animateuren und Betriebspsychologinnen, Imageberatern
und Drogendealerinnen zuständig. Wo dauernd von Motivation und Kreativität
geplappert wird, ist garantiert nichts mehr davon übrig - es sei denn als
Selbstbetrug. Deshalb zählen die Fähigkeiten zu Autosuggestion,
Selbstdarstellung und Kompetenz-Simulation heute zu den wichtigsten Tugenden von
Managern und Facharbeiterinnen, Medienstars und Buchhaltern, Lehrerinnen und
Parkplatzwächtern.
Auch die Behauptung, die Arbeit sei eine ewige
Notwendigkeit und den Menschen von der Natur aufgeherrscht, hat sich an der
Krise der Arbeitsgesellschaft gründlich blamiert. Seit Jahrhunderten wird
gepredigt, dem Arbeitsgötzen sei allein schon deshalb zu huldigen, weil
Bedürfnisse nun einmal nicht ohne schweißtreibendes menschliches Zutun von
selbst befriedigt werden. Und der Zweck der ganzen Arbeits-Veranstaltung sei ja
wohl die Bedürfnisbefriedigung. Träfe das zu, eine Kritik der Arbeit wäre so
sinnvoll wie eine Kritik der Schwerkraft. Aber wie sollte denn ein wirkliches
"Naturgesetz" in die Krise geraten oder gar verschwinden? Die Wortführer des
gesellschaftlichen Arbeits-Lagers, von der leistungswahnsinnigen neoliberalen
Kaviarfresserin bis zum gewerkschaftlichen Bierbauchträger, geraten mit ihrer
Pseudo-Natur der Arbeit in Argumentationsnot. Oder wie wollen sie es erklären,
daß heute drei Viertel der Menschheit nur deshalb in Not und Elend versinken,
weil das arbeitsgesellschaftliche System ihre Arbeit gar nicht mehr brauchen
kann?
Nicht mehr der alttestamentarische Fluch "Im Schweiße deines
Angesichts sollst du dein Brot essen" lastet auf den Herausgefallenen, sondern
ein neues, erst recht unerbittliches Verdammungsurteil: "Du sollst nicht essen,
denn dein Schweiß ist überflüssig und unverkäuflich". Und das soll ein
Naturgesetz sein? Es ist nichts anderes als ein irrationales gesellschaftliches
Prinzip, das als Naturzwang erscheint, weil es über Jahrhunderte hinweg alle
anderen Formen sozialer Beziehung zerstört oder sie unterworfen und sich selbst
absolut gesetzt hat. Es ist das "Naturgesetz" einer Gesellschaft, die sich für
überaus "rational" hält, die aber in Wahrheit nur der Zweckrationalität ihres
Arbeitsgötzen folgt, dessen "Sachzwängen" sie auch noch den letzten Rest ihrer
Humanität zu opfern bereit ist.
Arbeit steht, sei sie auch noch so niedrig und mammonistisch, stets im Zusammenhang mit der Natur. Schon der Wunsch, Arbeit zu verrichten, leitet immer mehr und mehr zur Wahrheit und zu den Gesetzen und Vorschriften der Natur, welche Wahrheit sind.
(Thomas Carlyle, Arbeiten und nicht verzweifeln, 1843)
5. Arbeit ist ein gesellschaftliches Zwangsprinzip
Arbeit ist keineswegs identisch damit, daß Menschen die Natur umformen und
sich tätig aufeinander beziehen. Solange es Menschen gibt, werden sie Häuser
bauen, Kleidung und Nahrung ebenso wie viele andere Dinge herstellen, sie werden
Kinder aufziehen, Bücher schreiben, diskutieren, Gärten anlegen, Musik machen
und dergleichen mehr. Das ist banal und selbstverständlich. Nicht
selbstverständlich aber ist, daß die menschliche Tätigkeit schlechthin, die pure
"Verausgabung von Arbeitskraft", ohne jede Rücksicht auf ihren Inhalt, ganz
unabhängig von den Bedürfnissen und vom Willen der Beteiligten, zu einem
abstrakten Prinzip erhoben wird, das die sozialen Beziehungen beherrscht.
In
den alten Agrargesellschaften gab es alle möglichen Herrschaftsformen und
persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse, aber keine Diktatur des Abstraktums
Arbeit. Die Tätigkeiten in der Umformung der Natur und in der sozialen Beziehung
waren zwar keineswegs selbstbestimmt, aber ebensowenig einer abstrakten
"Verausgabung von Arbeitskraft" unterworfen, sondern vielmehr eingebettet in
komplexe Regelwerke von religiösen Vorschriften, sozialen und kulturellen
Traditionen mit wechselseitigen Verpflichtungen. Jede Tätigkeit hatte ihre
besondere Zeit und ihren besonderen Ort; es gab keine abstrakt-allgemeine
Tätigkeitsform.
Es war erst das moderne warenproduzierende System mit seinem
Selbstzweck der unaufhörlichen Verwandlung von menschlicher Energie in Geld, das
eine besondere, aus allen anderen Beziehungen "herausgelöste", von jedem Inhalt
abstrahierende Sphäre der sogenannten Arbeit hervorbrachte - eine Sphäre der
unselbständigen, bedingungslosen und beziehungslosen, roboterhaften Tätigkeit,
abgetrennt vom übrigen sozialen Zusammenhang und einer abstrakten
"betriebswirtschaftlichen" Zweckrationalität jenseits der Bedürfnisse
gehorchend. In dieser vom Leben abgetrennten Sphäre hört die
Zeit auf, gelebte und erlebte Zeit zu sein; sie wird zum bloßen Rohstoff, der
optimal vernutzt werden muß: "Zeit ist Geld". Jede Sekunde wird verrechnet,
jeder Gang zum Klo ist ein Ärgernis, jedes Schwätzchen ein Verbrechen am
verselbständigten Produktionszweck. Wo gearbeitet wird, darf nur abstrakte
Energie verausgabt werden. Das Leben findet woanders statt - oder auch gar
nicht, weil der Zeittakt der Arbeit in alles hineinregiert. Schon die Kinder
werden auf die Uhr dressiert, um einmal "leistungsfähig" zu sein. Der Urlaub
dient bloß der Wiederherstellung der "Arbeitskraft". Und selbst beim Essen, beim
Feiern und in der Liebe tickt der Sekundenzeiger im Hinterkopf.
In der
Sphäre der Arbeit zählt nicht, was getan wird, sondern daß das Tun als solches
getan wird, denn die Arbeit ist gerade insofern ein Selbstzweck, als sie die
Verwertung des Geldkapitals trägt - die unendliche Vermehrung von Geld um seiner
selbst willen. Arbeit ist die Tätigkeitsform dieses absurden Selbstzwecks. Nur
deshalb, nicht aus sachlichen Gründen, werden alle Produkte als Waren
produziert. Denn allein in dieser Form repräsentieren sie das Abstraktum Geld,
dessen Inhalt das Abstraktum Arbeit ist. Darin besteht der Mechanismus der
verselbständigten gesellschaftlichen Tretmühle, in der die moderne Menschheit
gefangengehalten wird.
Und eben deshalb ist auch der Inhalt der Produktion
ebenso gleichgültig wie der Gebrauch der produzierten Dinge und wie die sozialen
und natürlichen Folgen. Ob Häuser gebaut oder Tretminen hergestellt, Bücher
gedruckt oder Gentomaten gezüchtet werden, ob darüber Menschen erkranken, ob die
Luft vergiftet wird oder "nur" der gute Geschmack unter die Räder kommt - all
das ist nicht von Belang, solange sich nur, auf welche Weise auch immer, die
Ware in Geld und das Geld in neue Arbeit verwandeln läßt. Daß die Ware einen
konkreten Gebrauch verlangt, und sei es einen destruktiven, ist für die
betriebswirtschaftliche Rationalität völlig uninteressant, denn für diese gilt
das Produkt nur als Träger von vergangener Arbeit, von "toter Arbeit".
Die
Anhäufung von "toter Arbeit" als Kapital, dargestellt in der Geldform, ist der
einzige "Sinn", den das moderne warenproduzierende System kennt. "Tote Arbeit"?
Eine metaphysische Verrücktheit! Ja, aber eine zur handgreiflichen Realität
gewordene Metaphysik, eine "versachlichte" Verrücktheit, die diese Gesellschaft
im eisernen Griff hält. Im ewigen Kaufen und Verkaufen tauschen sich die
Menschen nicht als selbstbewußte gesellschaftliche Wesen aus, sondern sie
exekutieren als soziale Automaten nur den ihnen vorausgesetzten Selbstzweck.
Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befrieidgung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird.
(Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844)
6. Arbeit und Kapital sind die beiden Seiten derselben Medaille
Die politische Linke hat die Arbeit immer besonders eifernd verehrt. Sie hat
die Arbeit nicht nur zum Wesen des Menschen erhoben, sondern sie damit auch zum
vermeintlichen Gegenprinzip des Kapitals mystifiziert. Nicht die Arbeit galt ihr
als Skandal, sondern bloß ihre Ausbeutung durch das Kapital. Deshalb war das
Programm sämtlicher "Arbeiterparteien" auch immer nur die "Befreiung der
Arbeit", nicht aber die Befreiung von der Arbeit. Der soziale Gegensatz von
Kapital und Arbeit ist aber bloß der Gegensatz unterschiedlicher (wenn auch
unterschiedlich mächtiger) Interessen innerhalb des kapitalistischen
Selbstzwecks. Der Klassenkampf war die Austragungsform dieser gegensätzlichen
Interessen auf dem gemeinsamen gesellschaftlichen Boden des warenproduzierenden
Systems. Er gehörte der inneren Bewegungsdynamik der Kapitalverwertung an. Ob
der Kampf nun um Löhne, um Rechte, um Arbeitsbedingungen oder um Arbeitsplätze
geführt wurde: seine blinde Voraussetzung blieb stets die herrschende Tretmühle
mit ihren irrationalen Prinzipien.
Vom Standpunkt der Arbeit zählt der
qualitative Inhalt der Produktion genauso wenig wie vom Standpunkt des Kapitals.
Was interessiert, ist einzig die Möglichkeit, die Arbeitskraft optimal zu
verkaufen. Es geht nicht um die gemeinsame Bestimmung über den Sinn und Zweck
des eigenen Tuns. Wenn es die Hoffnung jemals gab, eine solche Selbstbestimmung
der Produktion könnte in den Formen des warenproduzierenden Systems verwirklicht
werden, so haben die "Arbeitskräfte" sich diese Illusion schon längst
abgeschminkt. Es geht nur noch um "Arbeitsplätze", um "Beschäftigung" - schon
die Begriffe beweisen den Selbstzweck-Charakter der ganzen Veranstaltung und die
Unmündigkeit der Beteiligten.
Was und wofür und mit welchen Folgen
produziert wird, ist dem Verkäufer der Ware Arbeitskraft letzten Endes genauso
herzlich egal wie dem Käufer. Die Arbeiter der Atomkraftwerke und der
Chemiefabriken protestieren am lautesten, wenn ihre tickenden Zeitbomben
entschärft werden sollen. Und die "Beschäftigten" von Volkswagen, Ford oder
Toyota sind die fanatischsten Anhänger des automobilen Selbstmordprogramms.
Nicht etwa bloß deswegen, weil sie sich gezwungenermaßen verkaufen müssen, um
überhaupt leben zu "dürfen", sondern weil sie sich tatsächlich mit diesem
bornierten Dasein identifizieren. Soziologen, Gewerkschaftern, Pfarrern und
anderen Berufstheologen der "sozialen Frage" gilt das als Beweis für den
ethisch-moralischen Wert der Arbeit. Arbeit bildet Persönlichkeit, sagen sie. Zu
recht. Nämlich die Persönlichkeit von Zombis der Warenproduktion, die sich ein
Leben außerhalb ihrer heißgeliebten Tretmühle gar nicht mehr vorstellen können,
für die sie sich tagtäglich selber zurichten.
So wenig aber die
Arbeiterklasse als Arbeiterklasse jemals der antagonistische Widerspruch des
Kapitals und das Subjekt der menschlichen Emanzipation war, ebensowenig steuern
umgekehrt die Kapitalisten und Manager die Gesellschaft nach der Bösartigkeit
eines subjektiven Ausbeuterwillens. Keine herrschende Kaste in der Geschichte
hat jemals ein derart unfreies und erbärmliches Leben geführt wie die gehetzten
Manager von Microsoft, Daimler-Chrysler oder Sony. Jeder mittelalterliche
Gutsherr hätte diese Leute abgrundtief verachtet. Denn während er sich der Muße
hingeben und seinen Reichtum mehr oder weniger orgiastisch verprassen konnte,
dürfen sich die Eliten der Arbeitsgesellschaft selber keine Pause gönnen.
Außerhalb der Tretmühle wissen auch sie nichts anderes mit sich anzufangen als
wieder kindisch zu werden; Muße, Lust an der Erkenntnis und sinnlicher Genuß
sind ihnen so fremd wie ihrem Menschenmaterial. Sie sind selber nur Knechte des
Arbeitsgötzen, bloße Funktionseliten des irrationalen gesellschaftlichen
Selbstzwecks.
Der herrschende Götze weiß seinen subjektlosen Willen über den
"stummen Zwang" der Konkurrenz durchzusetzen, dem sich auch die Mächtigen beugen
müssen, gerade wenn sie hunderte von Fabriken managen und Milliardensummen über
den Globus schieben. Tun sie es nicht, werden sie ebenso rücksichtslos
ausrangiert wie die überflüssigen "Arbeitskräfte". Aber gerade ihre eigene
Unmündigkeit macht die Funktionäre des Kapitals so maßlos gefährlich, nicht ihr
subjektiver Ausbeuterwille. Sie dürfen am allerwenigsten nach dem Sinn und den
Folgen ihres rastlosen Tuns fragen, Gefühle und Rücksichten können sie sich
nicht leisten. Deshalb nennen sie es Realismus, wenn sie die Welt verwüsten, die
Städte verhäßlichen und die Menschen mitten im Reichtum verarmen lassen.
Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang zur Freude nennt sich bereits "Bedürfnis der Erholung" und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. "Man ist es seiner Gesundheit schuldig" - so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja es könnte bald so weit kommen, daß man einem Hange zur vita contemplativa (das heißt zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe.
(Friedrich Nietzsche, Muße und Müßiggang, 1882)
7. Arbeit ist patriarchale Herrschaft
Auch wenn die Logik der Arbeit und ihrer Verwurstung zur Geldmaterie danach
drängt, so lassen sich doch nicht alle gesellschaftlichen Bereiche und
notwendigen Tätigkeiten in diese Sphäre der abstrakten Zeit hineinpressen.
Deshalb entstand zusammen mit der "herausgelösten" Sphäre der Arbeit,
gewissermaßen als deren Rückseite, auch die Sphäre des privaten Haushalts, der
Familie und der Intimität.
In diesem als "weiblich" definierten Bereich
verbleiben die vielen und wiederkehrenden Tätigkeiten des alltäglichen Lebens,
die sich nicht oder nur ausnahmsweise in Geld verwandeln lassen: vom Putzen und
Kochen über die Kindererziehung und die Pflege alter Menschen bis zur
"Liebesarbeit" der idealtypischen Hausfrau, die ihren ausgelaugten Arbeitsmann
betütert und ihn "Gefühle tanken" läßt. Die Sphäre der Intimität als Rückseite
der Arbeit wird deshalb von der bürgerlichen Familienideologie zum Hort des
"eigentlichen Lebens" verklärt - auch wenn sie in der Realität meistens eher
eine Intimhölle ist. Es handelt sich eben nicht um eine Sphäre des besseren und
wahren Lebens, sondern um eine ebenso bornierte und reduzierte Form des Daseins,
die nur mit einem anderen Vorzeichen versehen wird. Diese Sphäre ist selber ein
Produkt der Arbeit, von dieser zwar abgespalten, aber doch nur existent im Bezug
auf sie. Ohne den abgespaltenen sozialen Raum der "weiblichen" Tätigkeitsformen
hätte die Arbeitsgesellschaft niemals funktionieren können. Dieser Raum ist ihre
stumme Voraussetzung und gleichzeitig ihr spezifisches Resultat.
Das gilt
auch für die geschlechtlichen Stereotypen, die in der Entwicklung des
warenproduzierenden Systems ihre Verallgemeinerung erfuhren. Nicht zufällig
verfestigte sich das Bild der natur- und triebhaften, irrationalen und emotional
gesteuerten Frau erst zusammen mit dem des kulturschaffenden, vernünftigen und
beherrschten Arbeitsmannes zum Massenvorurteil. Und nicht zufällig ging die
Selbstzurichtung des weißen Mannes für die Zumutungen der Arbeit und ihrer
staatlichen Menschenverwaltung mit einer jahrhundertelangen wütenden
"Hexenverfolgung" einher. Auch die gleichzeitig beginnende
naturwissenschaftliche Weltaneignung war schon in ihren Wurzeln kontaminiert
durch den arbeitsgesellschaftlichen Selbstzweck und seine geschlechtlichen
Zuschreibungen. Auf diese Weise trieb der weiße Mann, um reibungslos
funktionieren zu können, all die Gefühlslagen und emotionalen Bedürfnisse aus
sich selber aus, die im Reich der Arbeit nur als Störfaktoren zählen.
Im 20.
Jahrhundert, besonders in den fordistischen Nachkriegs-Demokratien, wurden die
Frauen zunehmend in das System der Arbeit einbezogen. Aber das Resultat war nur
ein weibliches Schizo-Bewußtsein. Denn einerseits konnte das Vordringen der
Frauen in die Sphäre der Arbeit keine Befreiung bringen, sondern nur dieselbe
Zurichtung für den Arbeitsgötzen wie bei den Männern. Andererseits blieb die
Struktur der "Abspaltung" ungebrochen bestehen und damit auch die Sphäre der als
"weiblich" definierten Tätigkeiten außerhalb der offiziellen Arbeit. Die Frauen
wurden auf diese Weise einer Doppelbelastung unterworfen und gleichzeitig völlig
gegensätzlichen sozialen Imperativen ausgesetzt. Innerhalb der Sphäre der Arbeit
bleiben sie bis heute überwiegend auf schlechter bezahlte und subalterne
Positionen verwiesen.
Daran wird kein systemkonformer Kampf für Frauenquoten
und weibliche Karriere-Chancen etwas ändern. Die erbärmliche bürgerliche Vision
einer "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" läßt die Sphärentrennung des
warenproduzierenden Systems und damit die geschlechtliche "Abspaltungs"-Struktur
völlig unangetastet. Für die Mehrheit der Frauen ist diese Perspektive unlebbar,
für eine Minderheit von "Besserverdienenden" wird sie zur perfiden
Gewinnerposition in der sozialen Apartheid, indem sie Haushalt und
Kinderbetreuung an schlechtbezahlte (und "selbstverständlich" weibliche)
Angestellte delegieren können.
In der Gesamtgesellschaft wird die bürgerlich
geheiligte Sphäre des sogenannten Privatlebens und der Familie in Wahrheit immer
weiter ausgehöhlt und degradiert, weil die arbeitsgesellschaftliche Usurpation
die ganze Person, völlige Aufopferung, Mobilität und zeitliche Anpassung
fordert. Das Patriarchat wird nicht abgeschafft, es verwildert nur in der
uneingestandenen Krise der Arbeitsgesellschaft. In demselben Maße, wie das
warenproduzierende System zusammenbricht, werden die Frauen für das Überleben
auf allen Ebenen verantwortlich gemacht, während die "männliche" Welt die
Kategorien der Arbeitsgesellschaft simulativ verlängert.
Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt.
(Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung)
8. Arbeit ist die Tätigkeit der Unmündigen
Nicht nur faktisch, sondern auch begrifflich läßt sich die Identität von
Arbeit und Unmündigkeit nachweisen. Noch vor wenigen Jahrhunderten war der
Zusammenhang zwischen Arbeit und sozialem Zwang den Menschen durchaus bewußt. In
den meisten europäischen Sprachen bezieht sich der Begriff "Arbeit" ursprünglich
nur auf die Tätigkeit des unmündigen Menschen, des Abhängigen, des Knechts oder
des Sklaven. Im germanischen Sprachraum bezeichnet das Wort die Schufterei eines
verwaisten und daher in Leibeigenschaft geratenen Kindes. "Laborare" bedeutete
im Lateinischen so viel wie "Schwanken unter einer schweren Last" und meint
allgemein gefaßt das Leiden und die Schinderei des Sklaven. Die romanischen
Wörter "travail", "trabajo" etc. leiten sich von dem lateinischen "tripalium"
ab, einer Art Joch, das zur Folter und Bestrafung von Sklaven und anderen
Unfreien eingesetzt wurde. In der deutschen Redeweise vom "Joch der Arbeit"
klingt noch eine Ahnung davon nach.
"Arbeit" ist also auch dem Wortstamm
nach kein Synonym für selbstbestimmte menschliche Tätigkeit, sondern verweist
auf ein unglückliches soziales Schicksal. Es ist die Tätigkeit derjenigen, die
ihre Freiheit verloren haben. Die Ausdehnung der Arbeit auf alle
Gesellschaftsmitglieder ist daher nichts als die Verallgemeinerung von
knechtischer Abhängigkeit und die moderne Anbetung der Arbeit bloß die
quasi-religiöse Überhöhung dieses Zustandes.
Dieser Zusammenhang konnte
erfolgreich verdrängt und die soziale Zumutung verinnerlicht werden, weil die
Verallgemeinerung der Arbeit mit ihrer "Versachlichung" durch das moderne
warenproduzierende System einherging: Die meisten Menschen stehen nicht mehr
unter der Knute eines persönlichen Herrn. Die soziale Abhängigkeit ist zu einem
abstrakten Systemzusammenhang geworden - und gerade dadurch total. Sie ist
überall spürbar und gerade deshalb kaum zu fassen. Wo jeder zum Knecht geworden
ist, ist jeder auch gleichzeitig Herr - als sein eigener Sklavenhändler und
Aufseher. Und alle gehorchen dem unsichtbaren Systemgötzen, dem "Großen Bruder"
der Kapitalverwertung, der sie unter das "tripalium" geschickt hat.
9. Die blutige Durchsetzungsgeschichte der Arbeit
Die Geschichte der Moderne ist die Durchsetzungsgeschichte der Arbeit, die
auf dem ganzen Planeten eine breite Spur der Verwüstung und des Grauens gezogen
hat. Denn nicht immer war die Zumutung, den größten Teil der Lebensenergie für
einen fremdbestimmten Selbstzweck zu vergeuden, derart verinnerlicht wie heute.
Es bedurfte mehrerer Jahrhunderte der offenen Gewalt im großen Maßstab, um die
Menschen in den bedingungslosen Dienst des Arbeitsgötzen buchstäblich
hineinzufoltern.
Am Anfang stand nicht die angeblich "wohlfahrtssteigernde"
Ausdehnung der Marktbeziehungen, sondern der unersättliche Geldhunger der
absolutistischen Staatsapparate, um die frühmodernen Militärmaschinen zu
finanzieren. Nur durch das Interesse dieser Apparate, die erstmals in der
Geschichte die ganze Gesellschaft in einen bürokratischen Würgegriff nahmen,
beschleunigte sich die Entwicklung des städtischen Kaufmanns- und Finanzkapitals
über die traditionellen Handelsbeziehungen hinaus. Erst auf diese Weise wurde
das Geld zu einem zentralen gesellschaftlichen Motiv und das Abstraktum Arbeit
zu einer zentralen gesellschaftlichen Anforderung ohne Rücksicht auf die
Bedürfnisse.
Nicht freiwillig gingen die meisten Menschen zur Produktion für
anonyme Märkte und damit zur allgemeinen Geldwirtschaft über, sondern weil der
absolutistische Geldhunger die Steuern monetarisiert und gleichzeitig exorbitant
erhöht hatte. Nicht für sich selbst mußten sie "Geld verdienen", sondern für den
militarisierten frühmodernen Feuerwaffen-Staat, seine Logistik und seine
Bürokratie. So und nicht anders ist der absurde Selbstzweck der
Kapitalverwertung und damit der Arbeit in die Welt gekommen.
Bald genügten
monetäre Steuern und Abgaben nicht mehr. Die absolutistischen Bürokraten und
finanzkapitalistischen Verwalter machten sich daran, die Menschen direkt als das
Material einer gesellschaftlichen Maschine für die Verwandlung von Arbeit in
Geld zwangsweise zu organisieren. Die traditionelle Lebens- und Existenzweise
der Bevölkerung wurde zerstört; nicht weil diese Bevölkerung sich freiwillig und
selbstbestimmt "weiterentwickelt" hätte, sondern weil sie als Menschenmaterial
der angeworfenen Verwertungsmaschine herhalten sollte. Die Menschen wurden mit
Waffengewalt von ihren Feldern vertrieben, um der Schafzucht für die
Wollmanufakturen Platz zu machen. Alte Rechte wie das freie Jagen, Fischen und
Holzsammeln in den Wäldern wurden abgeschafft. Und wenn die verarmten Massen
dann bettelnd und stehlend durch die Lande zogen, wurden sie in Arbeitshäuser
und Manufakturen eingesperrt, um sie mit Arbeitsfoltermaschinen zu malträtieren
und ihnen ein Sklavenbewußtsein von gefügigen Arbeitstieren einzuprügeln.
Aber auch diese schubweise Verwandlung ihrer Untertanen in das Material des
geldmachenden Arbeitsgötzen reichte den absolutistischen Monsterstaaten noch
lange nicht. Sie dehnten ihren Anspruch auch auf andere Kontinente aus. Die
innere Kolonisierung Europas ging einher mit der äußeren, zuerst in den beiden
Amerika und in Teilen Afrikas. Hier ließen die Einpeitscher der Arbeit endgültig
alle Hemmungen fallen. In bis dahin beispiellosen Raub-, Zerstörungs- und
Ausrottungsfeldzügen fielen sie über die neu "entdeckten" Welten her - galten
doch die dortigen Opfer noch nicht einmal mehr als Menschen. Die
menschenfressenden europäischen Mächte der heraufdämmernden Arbeitsgesellschaft
definierten die unterjochten fremden Kulturen als "Wilde" und - Menschenfresser.
Damit war die Legitimation geschaffen, sie auszulöschen oder millionenfach
zu versklaven. Buchstäbliche Sklaverei in der kolonialen Plantagen- und
Rohstoffwirtschaft, die in ihren Dimensionen noch die antike Sklavenhaltung
übertraf, gehört zu den Gründungsverbrechen des warenproduzierenden Systems.
Hier wurde zum ersten Mal die "Vernichtung durch Arbeit" im großen Stil
betrieben. Das war die zweite Grundlegung der Arbeitsgesellschaft. An den
"Wilden" konnte der weiße Mann, der schon gezeichnet war von der
Selbstdisziplinierung, seinen verdrängten Selbsthaß und Minderwertigkeitskomplex
austoben. Ähnlich wie "die Frau" galten sie ihm als naturnahe und primitive
Halbwesen zwischen Tier und Mensch. Immanuel Kant mutmaßte messerscharf, daß
Paviane sprechen könnten, wenn sie nur wollten; sie täten es nur deshalb nicht,
weil sie sonst befürchten müßten, zur Arbeit herangezogen zu werden.
Dieses
groteske Räsonnement wirft ein verräterisches Licht auf die Aufklärung. Das
repressive Arbeitsethos der Moderne, das sich in seiner ursprünglichen
protestantischen Version auf die Gnade Gottes und seit der Aufklärung auf das
Naturgesetz berief, wurde als "zivilisatorische Mission" maskiert. Kultur in
diesem Sinne ist freiwillige Unterwerfung unter die Arbeit; und Arbeit ist
männlich, weiß und "abendländisch". Das Gegenteil, die nicht-menschliche,
unförmige und kulturlose Natur, ist weiblich, farbig und "exotisch", also dem
Zwang auszusetzen. Mit einem Wort, der "Universalismus" der Arbeitsgesellschaft
ist schon von seiner Wurzel her durch und durch rassistisch. Das universelle
Abstraktum Arbeit kann sich immer nur selbst definieren durch Abgrenzung von
allem, was nicht in ihm aufgeht.
Es waren nicht die friedlichen Kaufleute
der alten Handelswege, aus denen das moderne Bürgertum hervorgegangen ist, das
schließlich den Absolutismus beerbte. Es waren vielmehr die Condottieri der
frühmodernen Söldnerhaufen, die Arbeits- und Zuchthausverwalter, Pächter der
Steuereintreibung, Sklavenaufseher und andere Halsabschneider, die den sozialen
Mutterboden für das moderne "Unternehmertum" bildeten. Die bürgerlichen
Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts hatten nichts mit sozialer
Emanzipation zu tun; sie schichteten nur die Machtverhältnisse innerhalb des
entstandenen Zwangssystems um, lösten die Institutionen der Arbeitsgesellschaft
von den veralteten dynastischen Interessen ab und trieben ihre Versachlichung
und Entpersönlichung voran. Es war die glorreiche Französiche Revolution, die
mit besonderem Pathos eine Pflicht zur Arbeit verkündete und in einem "Gesetz
zur Beseitigung des Bettelwesens" neue Arbeitszuchthäuser einführte.
Das war
das genaue Gegenteil dessen, was die sozialrebellischen Bewegungen erstrebten,
die am Rande der bürgerlichen Revolutionen aufflammten, ohne darin aufzugehen.
Schon viel früher hatte es ganz eigenständige Formen des Widerstands und der
Verweigerung gegeben, mit denen die offizielle Geschichtsschreibung der Arbeits-
und Modernisierungsgesellschaft nichts anfangen kann. Die Produzenten der alten
Agrargesellschaften, die sich auch mit den feudalen Herrschaftsverhältnissen
niemals völlig reibungslos abgefunden hatten, wollten sich erst recht nicht
damit abfinden, zur "Arbeiterklasse" eines ihnen äußerlichen Systemzusammenhangs
gemacht zu werden. Von den Bauernkriegen des 15. und 16. Jahrhunderts bis zu den
Erhebungen der später als "Maschinenstürmer" denunzierten Bewegungen in England
und dem Aufstand der schlesischen Weber von 1844 zieht sich eine einzige Kette
von erbitterten Widerstandskämpfen gegen die Arbeit. Die Durchsetzung der
Arbeitsgesellschaft und ein bald offener, bald latenter Bürgerkrieg waren über
Jahrhunderte hinweg ein und dasselbe.
Die alten agrarischen Gesellschaften
waren alles andere als paradiesisch. Aber der ungeheure Zwang der
hereinbrechenden Arbeitsgesellschaft wurde von der Mehrheit nur als
Verschlechterung und als "Zeit der Verzweiflung" erlebt. Tatsächlich hatten die
Menschen trotz aller Enge der Verhältnisse noch etwas zu verlieren. Was im
falschen Bewußtsein der modernen Welt als Finsternis und Plage eines erfundenen
Mittelalters erscheint, waren in Wirklichkeit die Schrecken ihrer eigenen
Geschichte. In den vor- und nichtkapitalistischen Kulturen innerhalb wie
außerhalb Europas war die tägliche ebenso wie die jährliche Zeit der
Produktionstätigkeit weitaus geringer als selbst heute noch für die modernen
"Beschäftigten" in Fabrik und Büro. Und diese Produktion war bei weitem nicht
derart verdichtet wie in der Arbeitsgesellschaft, sondern durchsetzt von einer
ausgeprägten Kultur der Muße und der relativen "Langsamkeit". Von
Naturkatastrophen abgesehen waren die materiellen Grundbedürfnisse für die
meisten weitaus besser gesichert als über weite Strecken der
Modernisierungsgeschichte - und auch besser als in den Horror-Slums der heutigen
Krisenwelt. Auch die Herrschaft ging nicht derart bis auf die Haut wie in der
durchbürokratisierten Arbeitsgesellschaft.
Deshalb konnte der Widerstand
gegen die Arbeit nur militärisch gebrochen werden. Bis heute heucheln sich die
Ideologen der Arbeitsgesellschaft darüber hinweg, daß die Kultur der vormodernen
Produzenten nicht "entwickelt", sondern in ihrem Blut erstickt wurde. Die
abgeklärten Arbeits-Demokraten von heute lasten all diese Ungeheuerlichkeiten am
liebsten den "vordemokratischen Zuständen" einer Vergangenheit an, mit der sie
nichts mehr zu tun hätten. Sie wollen nicht wahrhaben, daß die terroristische
Urgeschichte der Moderne verräterisch das Wesen auch der heutigen
Arbeitsgesellschaft enthüllt. Die bürokratische Arbeitsverwaltung und staatliche
Menschenerfassung in den industriellen Demokratien konnte ihre absolutistischen
und kolonialen Ursprünge niemals verleugnen. In der Form der Versachlichung zu
einem unpersönlichen Systemzusammenhang ist die repressive Menschenverwaltung im
Namen des Arbeitsgötzen sogar noch angewachsen und hat alle Lebensbereiche
durchdrungen. Gerade heute wird in der Agonie der Arbeit der
eiserne bürokratische Griff wieder fühlbar wie in der Frühzeit der
Arbeitsgesellschaft. Die Arbeitsverwaltung enthüllt sich als das Zwangssystem,
das sie immer gewesen ist, indem sie die soziale Apartheid organisiert und die
Krise durch demokratische Staatssklaverei vergeblich zu bannen sucht. Ähnlich
kehrt der koloniale Ungeist wieder in der ökonomischen Zwangsverwaltung der
bereits reihenweise ruinierten Länder in der Peripherie durch den
Internationalen Währungsfonds. Nach dem Tod ihres Götzen besinnt sich die
Arbeitsgesellschaft in jeder Hinsicht auf die Methoden ihrer
Gründungsverbrechen, die sie dennoch nicht retten können.
Der Barbar ist faul, und unterscheidet sich vom Gebildeten dadurch, daß er in der Stumpfheit vor sich hin brütet, denn die praktische Bildung besteht eben in der Gewohnheit und in dem Bedürfen der Beschäftigung.
(Georg W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821)Im Grunde fühlt man jetzt [...], daß eine solche Arbeit die beste Polizei ist, daß sie jeden im Zaume hält und die Entwicklung der Vernunft, der Begehrlichkeit, des Unabhängigkeitsgelüstes kräftig zu hindern versteht. Denn sie verbraucht außerordentlich viel Nervenkraft und entzieht dieselbe dem Nachdenken, Grübeln, Träumen, Sorgen, Lieben, Hassen.
(Friedrich Nietzsche, Die Lobredner der Arbeit, 1881)
10. Die Arbeiterbewegung war eine Bewegung für die Arbeit
Die klassische Arbeiterbewegung, die erst lange nach dem Untergang der alten
Sozialrevolten ihren Aufstieg erlebte, kämpfte nicht mehr gegen die Zumutung der
Arbeit, sondern entwickelte geradezu eine Überidentifikation mit dem scheinbar
Unausweichlichen. Ihr ging es nur noch um "Rechte" und Verbesserungen innerhalb
der Arbeitsgesellschaft, deren Zwänge sie schon weitgehend verinnerlicht hatte.
Statt die Verwandlung menschlicher Energie in Geld als irrationalen Selbstzweck
radikal zu kritisieren, nahm sie selber den "Standpunkt der Arbeit" ein und
begriff die Verwertung als positiven, neutralen Tatbestand.
So trat die
Arbeiterbewegung auf ihre Weise das Erbe von Absolutismus, Protestantismus und
bürgerlicher Aufklärung an. Aus dem Unglück der Arbeit wurde der falsche Stolz
der Arbeit, der die eigene Domestizierung zum Menschenmaterial des modernen
Götzen in ein "Menschenrecht" umdefinierte. Die domestizierten Heloten der
Arbeit drehten gewissermaßen den Spieß ideologisch um und entwickelten einen
missionarischen Eifer, einerseits das "Recht auf Arbeit" einzuklagen und
andererseits die "Arbeitspflicht für alle" zu fordern. Das Bürgertum wurde nicht
als Funktionsträger der Arbeitsgesellschaft bekämpft, sondern im Gegenteil
gerade im Namen der Arbeit als parasitär beschimpft. Ausnahmslos alle
Gesellschaftsmitglieder sollten in die "Armeen der Arbeit" zwangsrekrutiert
werden.
Die Arbeiterbewegung wurde so selber zu einem Schrittmacher der
kapitalistischen Arbeitsgesellschaft. Sie war es, die gegen die bornierten
bürgerlichen Funktionsträger des 19. und frühen 20. Jahrhunderts im
Entwicklungsprozeß der Arbeit die letzten Stufen der Versachlichung durchsetzte;
ganz ähnlich, wie ein Jahrhundert zuvor das Bürgertum den Absolutismus beerbt
hatte. Das war nur möglich, weil die Arbeiterparteien und Gewerkschaften sich im
Zuge ihrer Arbeitsvergottung auch positiv auf den Staatsapparat und die
Institutionen der repressiven Arbeitsverwaltung bezogen, die sie nicht
abschaffen, sondern selber in einer Art "Marsch durch die Institutionen"
besetzen wollten. Damit übernahmen sie ebenso wie vorher das Bürgertum die
bürokratische Tradition arbeitsgesellschaftlicher Menschenverwaltung seit dem
Absolutismus.
Die Ideologie einer sozialen Verallgemeinerung der Arbeit
erforderte allerdings auch ein neues politisches Verhältnis. An die Stelle der
ständischen Gliederung mit unterschiedlichen politischen "Rechten" (z.B.
Wahlrecht nach Steuerklassen) in der erst halb durchgesetzten
Arbeitsgesellschaft mußte die allgemeine demokratische Gleichheit des
vollendeten "Arbeitsstaats" treten. Und die Ungleichmäßigkeiten im Lauf der
Verwertungsmaschine, sobald sie das gesamte gesellschaftliche Leben bestimmte,
mußten "sozialstaatlich" ausgeglichen werden. Auch dafür lieferte die
Arbeiterbewegung das Paradigma. Unter dem Namen "Sozialdemokratie" wurde sie zur
größten "Bürgerbewegung" in der Geschichte, die doch nichts weiter sein konnte
als eine selbst gestellte Falle. Denn in der Demokratie wird alles verhandelbar,
nur nicht die Zwänge der Arbeitsgesellschaft, die vielmehr axiomatisch
vorausgesetzt sind. Was zur Debatte steht, können allein die Modalitäten und
Verlaufsformen dieser Zwänge sein. Es gibt immer nur die Wahl zwischen Omo und
Persil, zwischen Pest und Cholera, zwischen Frechheit und Dummheit, zwischen
Kohl und Schröder.
Die arbeitsgesellschaftliche Demokratie ist das
perfideste Herrschaftssystem der Geschichte - ein System der
Selbstunterdrückung. Deshalb organisiert diese Demokratie auch niemals die freie
Selbstbestimmung der Gesellschaftsmitglieder über die gemeinsamen Ressourcen,
sondern stets nur die Rechtsform der sozial voneinander getrennten
Arbeitsmonaden, die konkurrierend ihre Haut auf die Arbeitsmärkte tragen müssen.
Demokratie ist das Gegenteil von Freiheit. Und so zerfallen die demokratischen
Arbeitsmenschen notwendigerweise in Verwalter und Verwaltete, Unternehmer und
Unternommene, Funktionseliten und Menschenmaterial. Die politischen Parteien,
gerade auch die Arbeiterparteien, spiegeln dieses Verhältnis in ihrer eigenen
Struktur getreulich wieder. Führer und Geführte, Promis und Fußvolk,
Seilschaften und Mitläufer verweisen auf ein Verhältnis, das nichts mit einer
offenen Debatte und Entscheidungsfindung zu tun hat. Es ist integraler
Bestandteil dieser Systemlogik, daß die Eliten selber nur unselbständige
Funktionäre des Arbeitsgötzen und seiner blinden Ratschlüsse sein können.
Spätestens seit den Nazis sind alle Parteien Arbeiterparteien und
gleichzeitig Parteien des Kapitals. In den "Entwicklungsgesellschaften" des
Ostens und Südens mutierte die Arbeiterbewegung zur staatsterroristischen Partei
der nachholenden Modernisierung; im Westen zu einem System von "Volksparteien"
mit auswechselbaren Programmen und medialen Repräsentationsfiguren. Der
Klassenkampf ist zu Ende, weil die Arbeitsgesellschaft am Ende ist. Die Klassen
erweisen sich als soziale Funktionskategorien eines gemeinsamen Fetischsystems
in demselben Maße, wie dieses System abstirbt. Wenn Sozialdemokratie, Grüne und
Ex-Kommunisten sich in der Krisenverwaltung hervortun und besonders
niederträchtige Repressionsprogramme entwerfen, dann erweisen sie sich damit nur
als legitime Erben einer Arbeiterbewegung, die nie etwas anderes wollte als
Arbeit um jeden Preis.
Die Arbeit muß das Szepter führen,
Knecht soll nur
sein, wer müßig geht,
Die Arbeit muß die Welt regieren,
Weil nur durch sie die Welt besteht.
(Friedrich Stampfer, Der
Arbeit Ehre, 1903)
11. Die Krise der Arbeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte es für einen kurzen historischen Augenblick
so scheinen, als hätte sich die Arbeitsgesellschaft in den fordistischen
Industrien zu einem System "immerwährender Prosperität" konsolidiert, in dem die
Unerträglichkeit des zwanghaften Selbstzwecks durch Massenkonsum und Sozialstaat
dauerhaft zu befrieden wäre. Abgesehen davon, daß diese Vorstellung schon immer
eine demokratische Heloten-Idee war, die sich nur auf eine kleine Minderheit der
Weltbevölkerung bezog, mußte sie sich auch in den Zentren blamieren. Mit der
dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik stößt die
Arbeitsgesellschaft an ihre absolute historische Schranke.
Daß diese
Schranke früher oder später erreicht werden mußte, war logisch vorhersehbar.
Denn das warenproduzierende System leidet von Geburt an unter einem unheilbaren
Selbstwiderspruch. Einerseits lebt es davon, massenhaft menschliche Energie
durch Verausgabung von Arbeitskraft in seine Maschinerie aufzusaugen, je mehr
desto besser. Andererseits aber erzwingt das Gesetz der betriebswirtschaftlichen
Konkurrenz eine permanente Steigerung der Produktivität, in der menschliche
Arbeitskraft durch verwissenschaftlichtes Sachkapital ersetzt wird.
Dieser
Selbstwiderspruch war schon die tiefere Ursache aller früheren Krisen, darunter
der verheerenden Weltwirtschaftskrise von 1929-33. Die Krisen konnten jedoch
durch einen Mechanismus der Kompensation immer wieder überwunden werden: Auf dem
jeweils höheren Niveau der Produktivität wurde nach einer gewissen
Inkubationszeit durch Ausdehnung der Märkte auf neue Käuferschichten absolut
mehr Arbeit wieder eingesaugt, als vorher wegrationalisiert worden war. Der
Aufwand an Arbeitskraft pro Produkt verminderte sich, aber es wurden absolut
mehr Produkte in einem Ausmaß hergestellt, daß diese Verminderung
überkompensiert werden konnte. Solange also die Produkt-Innovationen die
Prozeß-Innovationen überstiegen, konnte der Selbstwiderspruch des Systems in
eine Expansionsbewegung übersetzt werden.
Das herausragende historische
Beispiel ist das Auto: Durch das Fließband und andere Techniken der
"arbeitswissenschaftlichen" Rationalisierung (zuerst in Henry Fords Autofabrik
in Detroit) verminderte sich die Arbeitszeit pro Auto auf einen Bruchteil.
Gleichzeitig wurde die Arbeit aber ungeheuer verdichtet, also das
Menschenmaterial in derselben Zeit um ein Vielfaches ausgesaugt. Vor allem
konnte das Auto, bis dahin ein Luxusprodukt für die oberen Zehntausend, durch
die damit einhergehende Verbilligung in den Massenkonsum einbezogen werden.
Auf diese Weise wurde der unersättliche Appetit des Arbeitsgötzen nach
menschlicher Energie trotz rationalisierter Fließfertigung in der zweiten
industriellen Revolution des "Fordismus" auf höherem Niveau befriedigt.
Gleichzeitig ist das Auto ein zentrales Beispiel für den destruktiven Charakter
der hochentwickelten arbeitsgesellschaftlichen Produktions- und
Konsumtionsweise. Im Interesse der Massenproduktion von Autos und des
massenhaften Individualverkehrs wird die Landschaft zubetoniert und verhäßlicht,
die Umwelt verpestet und achselzuckend in Kauf genommen, daß auf den Straßen der
Welt jahraus, jahrein der unerklärte 3. Weltkrieg tobt mit Millionen von Toten
und Verstümmelten.
In der dritten industriellen Revolution der
Mikroelektronik erlischt der bisherige Mechanismus der Kompensation durch
Expansion. Zwar werden natürlich auch durch die Mikroelektronik viele Produkte
verbilligt und neue kreiert (vor allem im Bereich der Medien). Aber erstmals
übersteigt das Tempo der Prozeß-Innovation das Tempo der Produkt-Innovation.
Erstmals wird mehr Arbeit wegrationalisiert als durch Ausdehnung der Märkte
reabsorbiert werden kann. In logischer Fortsetzung der Rationalisierung ersetzt
elektronische Robotik menschliche Energie oder die neuen
Kommunikationstechnologien machen Arbeit überflüssig. Ganze Sektoren und Ebenen
der Konstruktion, der Produktion, des Marketings, der Lagerhaltung, des
Vertriebs und selbst des Managements brechen weg. Erstmals setzt der
Arbeitsgötze sich unfreiwillig selber auf dauerhafte Hungerration. Damit führt
er seinen eigenen Tod herbei.
Da es sich bei der demokratischen
Arbeitsgesellschaft um ein ausgereiftes, auf sich selbst rückgekoppeltes
Selbstzwecksystem der Verausgabung von Arbeitskraft handelt, ist innerhalb
seiner Formen ein Umschalten auf allgemeine Arbeitszeitverkürzung nicht möglich.
Die betriebswirtschaftliche Rationalität verlangt, daß einerseits immer größere
Massen dauerhaft "arbeitslos" und damit von der systemimmanenten Reproduktion
ihres Lebens abgeschnitten werden, während andererseits die stetig schrumpfende
Anzahl der "Beschäftigten" einer umso größeren Arbeits- und Leistungshetze
unterworfen wird. Mitten im Reichtum kehren Armut und Hunger selbst in den
kapitalistischen Zentren zurück, intakte Produktionsmittel und Anbaufelder
liegen massenhaft brach, Wohnungen und öffentliche Gebäude stehen massenhaft
leer, während die Obdachlosigkeit unaufhaltsam steigt.
Kapitalismus wird zu
einer globalen Minderheitsveranstaltung. In seiner Not ist der sterbende
Arbeitsgötze autokannibalistisch geworden. Auf der Suche nach verbliebener
Arbeitsnahrung sprengt das Kapital die Grenzen der Nationalökonomie und
globalisiert sich in einer nomadischen Verdrängungskonkurrenz. Ganze
Weltregionen werden von den globalen Kapital- und Warenflüssen abgeschnitten.
Mit einer historisch beispiellosen Welle von Fusionen und "unfreundlichen
Übernahmen" rüsten sich die Konzerne für das letzte Gefecht der
Betriebswirtschaft. Die desorganisierten Staaten und Nationen implodieren, die
von der Überlebenskonkurrenz in den Wahnsinn getriebenen Bevölkerungen fallen in
ethnischen Bandenkriegen übereinander her.
Das moralische Grundprinzip ist das Recht des Menschen auf seine Arbeit. [...] Für mein Gefühl gibt es nichts Abscheulicheres als ein müßiges Leben. Keiner von uns hat ein Recht darauf. Die Zivilisation hat keinen Platz für Müßiggänger.
(Henry Ford)Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. [...] Nach der einen Seite hin ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur wie der gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des Reichtums (relativ) unabhängig zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der andren Seite will es diese so geschaffnen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten.
(Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 1857/58)
12. Das Ende der Politik
Notwendigerweise zieht die Krise der Arbeit die Krise des Staates und damit
der Politik nach sich. Grundsätzlich verdankt der moderne Staat seine Karriere
der Tatsache, daß das warenproduzierende System eine übergeordnete Instanz
benötigt, die den Rahmen der Konkurrenz, die allgemeinen Rechtsgrundlagen und
Voraussetzungen der Verwertung garantiert - unter Einschluß der
Repressionsapparate für den Fall, daß das Menschenmaterial einmal systemwidrig
unbotmäßig werden sollte. In seiner massendemokratisch ausgereiften Form mußte
der Staat im 20. Jahrhundert auch zunehmend sozialökonomische Aufgaben
übernehmen: Nicht nur das soziale Netz gehört dazu, sondern auch das Bildungs-
und Gesundheitswesen, Verkehrs- und Kommunikationsnetze, Infrastrukturen aller
Art, die für das Funktionieren der industriell entwickelten Arbeitsgesellschaft
unerläßlich geworden sind, aber nicht selber als betriebswirtschaftlicher
Verwertungsprozeß organisiert werden können. Denn diese Infrastrukturen müssen
auf der Ebene der Gesamtgesellschaft dauerhaft und flächendeckend zur Verfügung
stehen, können also nicht den Marktkonjunkturen von Angebot und Nachfrage
folgen.
Da der Staat aber keine selbständige Verwertungseinheit ist und
somit nicht selber Arbeit in Geld verwandeln kann, muß er Geld aus dem realen
Verwertungsprozeß abschöpfen, um seine Aufgaben zu finanzieren. Versiegt die
Verwertung, so versiegen auch die Staatsfinanzen. Der vermeintliche
gesellschaftliche Souverän erweist sich als völlig unselbständig gegenüber der
blinden, fetischisierten Ökonomie der Arbeitsgesellschaft. Er mag Gesetze
beschließen, so viel er will; wenn die Produktivkräfte über das System der
Arbeit hinauswachsen, läuft das positive staatliche Recht ins Leere, das sich
immer nur auf Subjekte der Arbeit beziehen kann.
Mit stetig wachsender
Massenarbeitslosigkeit vertrocknen die Staatseinnahmen aus der Besteuerung von
Arbeitseinkommen. Die sozialen Netze reißen, sobald eine kritische Masse von
"Überflüssigen" erreicht wird, die nur noch durch Umverteilung von anderen
Geldeinkommen kapitalistisch ernährt werden können. Mit dem rapiden
Konzentrationsprozeß des Kapitals in der Krise, der über die
nationalökonomischen Grenzen hinausgreift, brechen auch die Staatseinnahmen aus
der Besteuerung von Unternehmensgewinnen weg. Die transnationalen Konzerne
zwingen die um Investitionen konkurrierenden Staaten zum Steuerdumping,
Sozialdumping und Ökodumping.
Genau diese Entwicklung ist es, die den
demokratischen Staat zum reinen Krisenverwalter mutieren läßt. Je mehr er sich
dem finanziellen Notstand nähert, desto mehr reduziert er sich auf seinen
repressiven Kern. Die Infrastrukturen werden zurückgefahren auf die Bedürfnisse
des transnationalen Kapitals. Wie ehemals in den kolonialen Gebieten beschränkt
sich die gesellschaftliche Logistik zunehmend auf wenige ökonomische Zentren,
während der Rest verödet. Was sich privatisieren läßt, wird privatisiert, auch
wenn damit immer mehr Menschen von den elementarsten Versorgungsleistungen
ausgeschlossen bleiben. Wo die Kapitalverwertung sich auf immer weniger
Weltmarktinseln konzentriert, kommt es auf eine flächendeckende Versorgung der
Bevölkerung nicht mehr an.
Soweit es nicht die unmittelbar
wirtschaftsrelevanten Bereiche betrifft, ist es uninteressant, ob Züge fahren
und Briefe ankommen. Die Bildung wird zum Privileg der Globalisierungsgewinnler.
Die geistige, künstlerische und theoretische Kultur wird auf das Kriterium der
Marktgängigkeit verwiesen und stirbt ab. Das Gesundheitswesen wird
unfinanzierbar und zerfällt in ein Klassensystem. Zuerst schleichend und
klammheimlich, dann in aller Offenheit gilt das Gesetz der sozialen Euthanasie:
Weil du arm und "überflüssig" bist, mußt du früher sterben.
Während alle
Kenntnisse, Fähigkeiten und Mittel der Medizin, der Bildung, der Kultur, der
allgemeinen Infrastruktur überreichlich zur Verfügung stehen, werden sie nach
dem zum "Finanzierungsvorbehalt" objektivierten irrationalen Gesetz der
Arbeitsgesellschaft unter Verschluß gehalten, demobilisiert und verschrottet -
genau wie die industriellen und agrarischen Produktionsmittel, die nicht mehr
"rentabel" darstellbar sind. Außer der repressiven Arbeitssimulation durch
Formen der Zwangs- und Billigarbeit und dem Abbau aller Leistungen hat der zum
Apartheid-System transformierte demokratische Staat seinen Ex-Arbeitsbürgern
nichts mehr zu bieten. In einem weiter fortgeschrittenen Stadium zerfällt die
Staatsverwaltung überhaupt. Die Staatsapparate verwildern zu einer korrupten
Kleptokratie, das Militär zu Mafia-Kriegsbanden, die Polizei zu Wegelagerern.
Diese Entwicklung kann durch keine Politik der Welt mehr aufgehalten oder
gar rückgängig gemacht werden. Denn Politik ist ihrem Wesen nach staatsbezogenes
Handeln, das unter den Bedingungen der Entstaatlichung gegenstandslos wird. Die
linksdemokratische Formel von der "politischen Gestaltung" der Verhältnisse
blamiert sich von Tag zu Tag mehr. Außer endloser Repression, Abbau der
Zivilisation und Hilfestellung für den "Terror der Ökonomie" gibt es nichts mehr
zu "gestalten". Da der arbeitsgesellschaftliche Selbstzweck der politischen
Demokratie axiomatisch vorausgesetzt ist, kann es für die Krise der Arbeit auch
keine politisch-demokratische Regulation geben. Das Ende der Arbeit wird zum
Ende der Politik.
13. Die kasinokapitalistische Simulation der Arbeitsgesellschaft
Das herrschende gesellschaftliche Bewußtsein lügt sich systematisch über den
wahren Zustand der Arbeitsgesellschaft hinweg. Die Zusammenbruchsregionen werden
ideologisch exkommuniziert, die Arbeitsmarktstatistiken hemmungslos gefälscht,
die Formen der Verelendung medial wegsimuliert. Simulation ist überhaupt das
zentrale Merkmal des Krisenkapitalismus. Das gilt auch für die Ökonomie selbst.
Wenn es zumindest in den westlichen Kernländern bis jetzt so erscheint, als
könnte das Kapital auch ohne Arbeit akkumulieren und die reine Form des Geldes
substanzlos aus sich heraus die weitere Verwertung des Werts garantieren, so ist
dieser Schein einem Simulationsprozeß der Finanzmärkte geschuldet.
Spiegelbildlich zur Simulation der Arbeit durch Zwangsmaßnahmen der
demokratischen Arbeitsverwaltung hat sich eine Simulation der Kapitalverwertung
durch die spekulative Entkoppelung des Kreditsystems und der Aktienmärkte von
der Realökonomie herausgebildet.
Die Vernutzung gegenwärtiger Arbeit wird
ersetzt durch den Zugriff auf die Vernutzung zukünftiger Arbeit, die nie mehr
stattfinden wird. Es handelt sich gewissermaßen um eine Kapitalakkumulation in
einem fiktiven "Futur II". Das Geldkapital, das nicht mehr rentabel in die
Realökonomie reinvestiert werden und daher keine Arbeit mehr ansaugen kann, muß
verstärkt in die Finanzmärkte ausweichen.
Schon der fordistische Schub der
Verwertung in den Zeiten des "Wirtschaftswunders" nach dem Zweiten Weltkrieg war
kein vollständig selbsttragender mehr. Weit über seine Steuereinnahmen hinaus
nahm der Staat in einem bis dahin ungekannten Ausmaß Kredite auf, weil die
Rahmenbedingungen der Arbeitsgesellschaft anders nicht mehr finanzierbar waren.
Der Staat verpfändete also seine zukünftigen reellen Einnahmen. Auf diese Weise
entstand einerseits für "überschüssiges" Geldkapital eine finanzkapitalistische
Anlagemöglichkeit - es wurde dem Staat gegen Zinsen geliehen. Dieser beglich die
Zinsen aus neuen Krediten und schleuste das geliehene Geld umgehend wieder in
den ökonomischen Kreislauf zurück. Er finanzierte also damit andererseits
Sozialausgaben und Infrastruktur-Investitionen und schuf so eine im
kapitalistischen Sinne künstliche, weil durch keinerlei produktive
Arbeitsverausgabung gedeckte Nachfrage. Der fordistische Boom wurde so über
seine eigentliche Reichweite hinaus verlängert, indem die Arbeitsgesellschaft
ihre eigene Zukunft anzapfte.
Dieses simulative Moment schon des scheinbar
noch intakten Verwertungsprozesses fand seine Grenzen zusammen mit der
Staatsverschuldung. Die staatlichen "Schuldenkrisen" nicht nur in der 3. Welt,
sondern auch in den Zentren ließen eine weitere Expansion auf diesem Wege nicht
mehr zu. Das war die objektive Grundlage für den Siegeszug der neoliberalen
Deregulierung, die laut Ideologie mit einer drastischen Senkung der Staatsquote
am Sozialprodukt einhergehen sollte. In Wirklichkeit werden Deregulierung und
Abbau der Staatsaufgaben kompensiert durch die Kosten der Krise, und sei es in
Form der staatlichen Repressions- und Simulationskosten. In vielen Staaten
steigt die Staatsquote auf diese Weise sogar noch an.
Aber die weitere
Akkumulation des Kapitals ist durch die Staatsverschuldung nicht mehr zu
simulieren. Deshalb verlagerte sich seit den 80er Jahren die zusätzliche
Kreation des fiktiven Kapitals auf die Aktienmärkte. Dort geht es längst nicht
mehr um die Dividende, den Gewinnanteil an der realen Produktion, sondern nur
noch um den Kursgewinn, die spekulative Wertsteigerung der Eigentumstitel bis in
astronomische Größenordnungen. Das Verhältnis von Realökonomie und spekulativer
Finanzmarktbewegung hat sich auf den Kopf gestellt. Die spekulative
Kurssteigerung nimmt nicht mehr die realökonomische Expansion vorweg, sondern
umgekehrt simuliert die Hausse fiktiver Wertschöpfung eine Realakkumulation, die
es schon gar nicht mehr gibt.
Der Arbeitsgötze ist klinisch tot, aber er
wird künstlich beatmet durch die scheinbar verselbständigte Expansion der
Finanzmärkte. Industrielle Unternehmen machen Gewinne, die gar nicht mehr aus
der längst zum Verlustgeschäft gewordenen Produktion und dem Verkauf von realen
Gütern stammen, sondern aus der Beteiligung einer "cleveren" Finanzabteilung an
der Aktien- und Devisenspekulation. Öffentliche Haushalte weisen Einnahmen aus,
die gar nicht mehr durch Steuern oder Kreditaufnahme zustande kommen, sondern
durch eifriges Mitgehen der Finanzverwaltung an den Zockermärkten. Und private
Haushalte, deren reelle Einnahmen aus Löhnen und Gehältern dramatisch
zurückgehen, leisten sich ein weiterhin hohes Konsumniveau, indem sie
Aktiengewinne beleihen. Es entsteht also eine neue Form von künstlicher
Nachfrage, die dann wiederum reale Produktion und reale staatliche
Steuereinnahmen "ohne Boden unter den Füßen" nach sich zieht.
Auf diese
Weise wird die Weltwirtschaftskrise durch den spekulativen Prozeß
hinausgeschoben. Aber da die fiktive Wertsteigerung der Eigentumstitel nur die
Vorwegnahme zukünftiger realer Arbeitsvernutzung (in einem entsprechend
astronomischen Ausmaß) sein kann, die nie mehr kommen wird, muß der
objektivierte Schwindel nach einer gewissen Inkubationszeit auffliegen. Der
Zusammenbruch der "emerging markets" in Asien, Lateinamerika und Osteuropa hat
einen ersten Vorgeschmack geliefert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch
die Finanzmärkte der kapitalistischen Zentren in den USA, der EU und Japan
kollabieren.
Dieser Zusammenhang wird im arbeitsgesellschaftlichen
Fetisch-Bewußtsein und gerade auch bei den herkömmlichen linken und rechten
"Kapitalismuskritikern" völlig verzerrt wahrgenommen. Fixiert auf das zur
überhistorischen und positiven Existenzbedingung geadelte Phantom der Arbeit
verwechseln sie systematisch Ursache und Wirkung. Der vorübergehende
Krisenaufschub durch die spekulative Expansion der Finanzmärkte erscheint dann
genau umgekehrt als vermeintliche Ursache der Krise. Die "bösen Spekulanten", so
heißt es mehr oder weniger panisch, würden die ganze schöne Arbeitsgesellschaft
kaputtmachen, weil sie das "gute Geld", von dem "genug da" sei, aus Jux und
Tollerei verzocken, statt es brav und solide in wunderbare "Arbeitsplätze" zu
investieren, auf daß eine arbeitswahnsinnige Heloten-Menschheit weiterhin
"vollbeschäftigt" sein könne.
Es will in diese Köpfe einfach nicht hinein,
daß keineswegs die Spekulation die Realinvestitionen zum Stehen gebracht hat,
sondern diese schon durch die 3. industrielle Revolution unrentabel geworden
sind und das spekulative Abheben nur ein Symptom dafür sein kann. Das Geld, das
da in scheinbar unerschöpflicher Menge zirkuliert, ist selbst im
kapitalistischen Sinne längst kein "gutes" mehr, sondern bloß noch "heiße Luft",
mit der die spekulative Blase aufgetrieben wurde. Jeder Versuch, diese Blase
durch Projekte einer wie auch immer gearteten Besteuerung anzupieksen
("Tobinsteuer" usw.), um das Geldkapital wieder auf die vermeintlich "richtigen"
und realen arbeitsgesellschaftlichen Mühlen zu lenken, könnte nur mit dem umso
schnelleren Platzen der Blase enden.
Statt zu begreifen, daß wir alle
unaufhaltsam unrentabel werden und deshalb das Kriterium der Rentabilität selber
samt seinen arbeitsgesellschaftlichen Grundlagen als obsolet anzugreifen ist,
dämonisiert man lieber "die Spekulanten" - dieses billige Feindbild pflegen
einhellig Rechtsradikale und Autonome, biedere Gewerkschaftsfunktionäre und
keynesianische Nostalgiker, Sozialtheologen und Talkmaster, überhaupt alle
Apostel der "ehrlichen Arbeit". Die wenigsten sind sich bewußt, daß es von da
bis zur Remobilisierung des antisemitischen Wahns nur noch ein kleiner Schritt
ist. Das "schaffende" nationalblütige Realkapital gegen das "raffende"
international-"jüdische" Geldkapital zu beschwören, droht das letzte Wort der
geistig verwahrlosten Arbeitsplatz-Linken zu werden. Das letzte Wort der von
Haus aus rassistischen, antisemitischen und antiamerikanischen
Arbeitsplatz-Rechten ist es sowieso.
Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts. [...] Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen und der unmittelbare materielle Produktionsprozeß erhält selbst die Form der Notdürftigkeit und Gegensätzlichkeit abgestreift.
(Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 1857/58)
14. Arbeit läßt sich nicht umdefinieren
Nach Jahrhunderten der Zurichtung kann sich der moderne Mensch ein Leben
jenseits der Arbeit schlechterdings nicht mehr vorstellen. Als imperiales
Prinzip beherrscht die Arbeit nicht nur die Sphäre der Ökonomie im engeren
Sinne, sondern durchdringt das gesamte soziale Dasein bis in die Poren des
Alltags und der privaten Existenz. Die "Freizeit", schon dem Wortsinne nach ein
Gefängnisbegriff, dient längst selber dazu, Waren "aufzuarbeiten", um so für den
nötigen Absatz zu sorgen.
Aber sogar jenseits der verinnerlichten Pflicht
zum Warenkonsum als Selbstzweck legt sich der Schatten der Arbeit auch außerhalb
von Büro und Fabrik auf das moderne Individuum. Sobald es sich aus dem
Fernsehsessel erhebt und aktiv wird, verwandelt sich jedes Tun sofort in ein
arbeitsähnliches. Der Jogger ersetzt die Stechuhr durch die Stoppuhr, im
chromblanken Fitneßstudio erlebt die Tretmühle ihre postmoderne Wiedergeburt und
die Urlauber schrubben in ihrem Auto Kilometer herunter, als müßten sie die
Jahresleistung eines Fernfahrers erbringen. Selbst noch das Vögeln orientiert
sich an DIN-Normen der Sexualforschung und an Konkurrenzmaßstäben der
Talk-Show-Prahlereien.
Erlebte König Midas es immerhin noch als Fluch, daß
alles, was er berührte, sich in Gold verwandelte, so ist sein moderner
Leidensgenosse über dieses Stadium bereits hinaus. Der Arbeitsmensch merkt nicht
einmal mehr, daß durch die Angleichung an das Muster der Arbeit jedes Tun seine
besondere sinnliche Qualität verliert und gleichgültig wird. Im Gegenteil: nur
durch diese Angleichung an die Gleichgültigkeit der Warenwelt mißt er einer
Tätigkeit überhaupt erst Sinn, Berechtigung und soziale Bedeutung zu. Mit einem
Gefühl wie Trauer etwa kann das Arbeitssubjekt nicht viel anfangen; die
Verwandlung von Trauer in "Trauerarbeit" indes macht diesen emotionalen
Fremdkörper zu einer bekannten Größe, über die man sich mit seinesgleichen
austauschen kann. Selbst noch das Träumen wird so zur "Traumarbeit", die
Auseinandersetzung mit einem geliebten Menschen zur "Beziehungsarbeit" und der
Umgang mit Kindern zur "Erziehungsarbeit" entwirklicht und vergleichgültigt. Wo
immer der moderne Mensch auf der Ernsthaftigkeit seines Tuns beharren will, hat
er auch schon das Wort "Arbeit" auf den Lippen.
Der Imperialismus der Arbeit
schlägt sich also im alltäglichen Sprachgebrauch nieder. Wir sind nicht nur
gewohnt, das Wort "Arbeit" inflationär zu verwenden, sondern auch auf zwei ganz
verschiedenen Bedeutungsebenen. "Arbeit" bezeichnet längst nicht mehr nur (wie
es zutreffend wäre) die kapitalistische Tätigkeitsform in der Selbstzweck-Mühle,
sondern dieser Begriff ist zum Synonym für jede zielgerichtete Anstrengung
überhaupt geworden und hat damit seine Spuren verwischt.
Diese begriffliche
Unschärfe bereitet den Boden für eine ebenso halbseidene wie gängige Kritik der
Arbeitsgesellschaft, die genau verkehrt herum operiert, nämlich vom positiv
gedeuteten Imperialismus der Arbeit aus. Der Arbeitsgesellschaft wird
ausgerechnet vorgeworfen, daß sie das Leben noch nicht genug mit ihrer
Tätigkeitsform beherrscht, weil sie den Begriff der Arbeit angeblich "zu eng"
faßt, nämlich "Eigenarbeit" oder "unbezahlte Selbsthilfe" (Hausarbeit,
Nachbarschaftshilfe usw.) daraus moralisch exkommuniziert und nur marktgängige
Erwerbsarbeit als "wirkliche" Arbeit gelten läßt. Eine Neubewertung und
Erweiterung des Arbeitsbegriffs soll diese einseitige Fixierung und die damit
verbundenen Hierarchisierungen beseitigen.
Es geht diesem Denken also gar
nicht um die Emanzipation von den herrschenden Zwängen, sondern lediglich um
eine semantische Reparatur. Die unübersehbare Krise der Arbeitsgesellschaft soll
dadurch gelöst werden, daß das gesellschaftliche Bewußtsein bislang inferiore
Tätigkeitsformen neben der kapitalistischen Produktionssphäre "wirklich" in den
Adelsstand der Arbeit erhebt. Aber die Inferiorität dieser Tätigkeiten ist eben
nicht bloß das Ergebnis einer bestimmten ideologischen Betrachtungsweise,
sondern gehört zur Grundstruktur des warenproduzierenden Systems und ist durch
nette moralische Umdefinitionen nicht aufzuheben.
In einer Gesellschaft, die
von der Warenproduktion als Selbstzweck beherrscht wird, kann als eigentlicher
Reichtum nur gelten, was in monetarisierter Gestalt darstellbar ist. Der davon
bestimmte Arbeitsbegriff strahlt zwar imperial auf alle anderen Sphären aus,
aber nur negativ, indem er diese als von sich abhängig kenntlich macht. Die
Sphären außerhalb der Warenproduktion bleiben so notwendigerweise im Schatten
der kapitalistischen Produktionssphäre, weil sie in der abstrakten
betriebswirtschaftlichen Zeitsparlogik nicht aufgehen - auch und gerade dann,
wenn sie lebensnotwendig sind wie der abgespaltene, als "weiblich" definierte
Tätigkeitsbereich des privaten Haushalts, der persönlichen Zuwendung usw.
Eine moralisierende Erweiterung des Arbeitsbegriffs statt seiner radikalen
Kritik verschleiert nicht nur den realen gesellschaftlichen Imperialismus der
warenproduzierenden Ökonomie, sondern fügt sich auch bestens in die autoritären
Strategien der staatlichen Krisenverwaltung ein. Die seit den 70er Jahren
erhobene Forderung, auch die "Hausarbeit" und die Tätigkeiten im "Dritten
Sektor" als vollgültige Arbeit gesellschaftlich "anzuerkennen", spekulierte
zunächst auf finanzielle staatliche Transferleistungen. Der Krisenstaat
allerdings dreht den Spieß um und mobilisiert den moralischen Impetus dieser
Forderung im Sinne des berüchtigten "Subsidiaritätsprinzips" gerade gegen ihre
materiellen Hoffnungen.
Das Hohelied auf "Ehrenamt" und "Bürgerarbeit"
handelt nicht von der Erlaubnis, in den ziemlich leeren staatlichen Finanztöpfen
stochern zu dürfen, sondern wird zum Alibi für den sozialen Rückzug des Staates,
für die anlaufenden Zwangsarbeitsprogramme und für den schäbigen Versuch, die
Krisenlast hauptsächlich auf die Frauen abzuwälzen. Die offiziellen
gesellschaftlichen Institutionen geben ihre soziale Verpflichtung preis mit dem
ebenso freundlichen wie kostenlosen Appell an "uns alle", doch gefälligst fortan
mit privater Eigeninitiative eigenes wie fremdes Elend zu bekämpfen und keine
materiellen Forderungen mehr zu stellen. So öffnet die als Emanzipationsprogramm
mißverstandene Definitions-Akrobatik am weiterhin geheiligten Arbeitsbegriff dem
staatlichen Versuch Tür und Tor, die Aufhebung der Lohnarbeit als Beseitigung
des Lohns unter Beibehaltung der Arbeit auf der verbrannten Erde der
Marktwirtschaft zu vollziehen. Unfreiwillig wird damit bewiesen, daß soziale
Emanzipation heute nicht die Umwertung der Arbeit, sondern nur die bewußte
Entwertung der Arbeit zum Inhalt haben kann.
Neben den materiellen können einfache, personenbezogene Dienste auch den immateriellen Wohlstand erhöhen. So kann das Wohlbefinden der Kunden steigen, wenn ihnen Dienstleister belastende Eigenarbeit abnehmen. Zugleich steigt das Wohlbefinden der Dienstleister, wenn sich ihr Selbstwertgefügl durch die Tätigkeit erhöht. Einen einfachen, personenbezogenen Dienst auszuüben ist für die Psyche besser als arbeitslos zu sein.
(Bericht der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, 1997)Halte Dich fest an die Kenntnis, die sich beim Arbeiten bewährt, denn die Natur selbst bestätigt diese und sagt Ja dazu. Eigentlich hast Du gar keine andere Kenntnis, als die, welche Du durch das Arbeiten erworben, das übrige ist alles nur eine Hypothese des Wissens.
(Thomas Carlyle, Arbeiten und nicht verzweifeln, 1843)
15. Die Krise des Interessenkampfes
So sehr die fundamentale Krise der Arbeit auch verdrängt und tabuisiert wird,
sie prägt dennoch alle aktuellen sozialen Konflikte. Der Übergang von einer
Gesellschaft der Massenintegration zu einer Selektions- und Apartheids-Ordnung
hat nicht etwa zu einer neuen Runde des alten Klassenkampfs zwischen Kapital und
Arbeit geführt, sondern zu einer kategorialen Krise des systemimmanenten
Interessenkampfes selbst. Schon in der Epoche der Prosperität nach dem Zweiten
Weltkrieg war die alte Emphase des Klassenkampfes verblaßt. Aber nicht etwa
deswegen, weil das "an sich" revolutionäre Subjekt durch manipulative
Machenschaften und Bestechung mit fragwürdigem Wohlstand "integriert" worden
wäre, sondern weil sich umgekehrt auf dem fordistischen Entwicklungsstand die
logische Identität von Kapital und Arbeit als soziale Funktions-Kategorien einer
gemeinsamen gesellschaftlichen Fetischform herausschälte. Der systemimmanente
Wunsch, die Ware Arbeitskraft zu möglichst guten Konditionen zu verkaufen,
verlor jedes transzendierende Moment.
Ging es dabei bis in die 70er Jahre
hinein immerhin noch darum, eine Beteiligung möglichst breiter Schichten der
Bevölkerung an den giftigen arbeitsgesellschaftlichen Früchten zu erstreiten, so
ist selbst dieser Impuls unter den neuen Krisenbedingungen der 3. industriellen
Revolution erloschen. Nur solange die Arbeitsgesellschaft expandierte, war es
möglich, den Interessenkampf ihrer sozialen Funktions-Kategorien im großen
Maßstab zu führen. In demselben Maße jedoch, wie die gemeinsame Basis verfällt,
können die systemimmanenten Interessen nicht mehr auf gesamtgesellschaftlichem
Niveau zusammengefaßt werden. Eine allgemeine Entsolidarisierung setzt ein. Die
Lohnarbeiter desertieren aus den Gewerkschaften, die Managerinnen aus den
Unternehmensverbänden. Jeder für sich und der kapitalistische System-Gott gegen
alle: Die vielbeschworene Individualisierung ist nichts als ein weiteres
Krisensymptom der Arbeitsgesellschaft.
Soweit überhaupt noch Interessen
aggregiert werden können, geschieht dies nur im mikro-ökonomischen Maßstab. Denn
in demselben Maße, wie es sich als Hohn auf die soziale Befreiung geradezu zum
Privileg entwickelt hat, das eigene Leben betriebswirtschaftlich verwursten zu
lassen, degeneriert die Interessenvertretung der Ware Arbeitskraft zur
knallharten Lobby-Politik immer kleinerer sozialer Segmente. Wer die Logik der
Arbeit akzeptiert, muß jetzt auch die Logik der Apartheid akzeptieren. Es geht
nur noch darum, der eigenen eng umrissenen Klientel auf Kosten aller anderen die
Verkäuflichkeit ihrer Haut zu sichern. Belegschaften und Betriebsräte finden
ihren wahren Gegner längst nicht mehr im Management ihres Unternehmens, sondern
in den Lohnabhängigen konkurrierender Betriebe und "Standorte", egal ob in der
nächsten Ortschaft oder im Fernen Osten. Und wenn sich die Frage stellt, wer
beim nächsten Schub betriebswirtschaftlicher Rationalisierung über die Klinge
springen muß, werden auch die Nachbarabteilung und der unmittelbare Kollege zum
Feind.
Die radikale Entsolidarisierung betrifft keineswegs nur die
betriebliche und gewerkschaftliche Auseinandersetzung. Da gerade in der Krise
der Arbeitsgesellschaft alle Funktionskategorien umso fanatischer auf deren
inhärenter Logik beharren, daß jedes menschliche Wohlergehen bloßes
Abfallprodukt rentabler Verwertung sein kann, beherrscht das
Sankt-Florians-Prinzip alle Interessenkonflikte. Sämtliche Lobbys kennen die
Spielregeln und handeln danach. Jede Mark, die eine andere Klientel erhält, ist
für die eigene verloren. Jeder Einschnitt am anderen Ende des sozialen Netzes
erhöht die Chance, selber noch eine Galgenfrist herauszuschinden. Der Rentner
wird zum natürlichen Gegner aller Beitragszahler, der Kranke zum Feind aller
Versicherten und der Immigrant zum Haßobjekt aller wildgewordenen Inländer.
Irreversibel erschöpft sich so das Unterfangen, den systemimmanenten
Interessenkampf als Hebel sozialer Emanzipation einsetzen zu wollen. Damit ist
die klassische Linke am Ende. Eine Wiedergeburt radikaler Kapitalismuskritik
setzt den kategorialen Bruch mit der Arbeit voraus. Erst wenn ein neues Ziel der
sozialen Emanzipation jenseits der Arbeit und ihrer abgeleiteten
Fetisch-Kategorien (Wert, Ware, Geld, Staat, Rechtsform, Nation, Demokratie
usw.) gesetzt wird, ist eine Re-Solidarisierung auf hohem Niveau und im
gesamtgesellschaftlichen Maßstab möglich. Und erst in dieser Perspektive können
auch systemimmanente Abwehrkämpfe gegen die Logik der Lobbysierung und
Individualisierung re-aggregiert werden; jetzt allerdings nicht mehr im
positiven, sondern im negatorischen strategischen Bezug auf die herrschenden
Kategorien.
Bis jetzt drückt sich die Linke vor dem kategorialen Bruch mit
der Arbeitsgesellschaft. Sie verharmlost die Systemzwänge zur bloßen Ideologie
und die Logik der Krise zum bloßen politischen Projekt der "Herrschenden". An
die Stelle des kategorialen Bruchs tritt die sozialdemokratische und
keynesianische Nostalgie. Nicht eine neue konkrete Allgemeinheit sozialer
Formierung jenseits von abstrakter Arbeit und Geldform wird angestrebt, sondern
die Linke versucht die alte abstrakte Allgemeinheit des systemimmanenten
Interesses krampfhaft festzuhalten. Aber diese Versuche bleiben selber abstrakt
und können keine soziale Massenbewegung mehr integrieren, weil sie sich an den
realen Krisenverhältnissen vorbeimogeln.
Das gilt besonders für die
Forderung nach einem garantierten Existenzgeld oder Mindesteinkommen. Statt
konkrete soziale Abwehrkämpfe gegen bestimmte Maßnahmen des Apartheid-Regimes
mit einem allgemeinen Programm gegen die Arbeit zu verbinden, will diese
Forderung eine falsche Allgemeinheit der sozialen Kritik herstellen, die in
jeder Hinsicht abstrakt, systemimmanent und hilflos bleibt. Die soziale
Krisenkonkurrenz kann damit nicht überwunden werden. Ignorant wird das ewige
Weiterfunktionieren der globalen Arbeitsgesellschaft vorausgesetzt, denn woher
sonst sollte das Geld kommen, um dieses staatlich garantierte Grundeinkommen zu
finanzieren, wenn nicht aus gelingenden Verwertungsprozessen? Wer auf eine
solche "Sozialdividende" baut (schon der Name spricht Bände), muß gleichzeitig
klammheimlich auf eine privilegierte Position des "eigenen" Landes in der
globalen Konkurrenz setzen. Denn nur der Sieg im Weltkrieg der Märkte würde es
vorübergehend erlauben, einige Millionen kapitalistisch "überflüssiger" Mitesser
zuhause durchzufüttern - unter Ausschluß aller Menschen ohne inländischen Paß,
versteht sich.
Die Reform-Heimwerker der Existenzgeldforderung ignorieren
die kapitalistische Verfaßtheit der Geldform in jeder Hinsicht. Letztlich geht
es ihnen nur darum, vom kapitalistischen Arbeits- und Warenkonsum-Subjekt das
letztere zu retten. Statt die kapitalistische Lebensweise überhaupt in Frage zu
stellen, soll die Welt trotz Krise der Arbeit weiterhin unter Lawinen stinkender
Blechhaufen, häßlicher Betonklötze und minderwertigen Warenschrotts begraben
werden, damit den Menschen die einzige klägliche Freiheit erhalten bleibt, die
sie sich noch vorstellen können: die Wahlfreiheit vor den Regalen des
Supermarkts.
Aber selbst diese traurige und beschränkte Perspektive ist
völlig illusionär. Ihre linken Protagonisten und theoretischen Analphabeten
haben vergessen, daß der kapitalistische Warenkonsum niemals schlicht der
Befriedigung von Bedürfnissen dient, sondern immer nur eine Funktion der
Verwertungsbewegung sein kann. Wenn die Arbeitskraft nicht mehr zu verkaufen
ist, gelten selbst elementare Bedürfnisse als unverschämte luxurierende
Ansprüche, die auf ein Minimum herabgedrückt werden müssen. Und genau dafür wird
das Existenzgeld-Programm ein Vehikel sein, nämlich als Instrument staatlicher
Kostenreduktion und als Elendsversion der Sozialtransfers, die an die Stelle der
kollabierenden Sozialversicherungen tritt. In diesem Sinne hat der Vordenker des
Neoliberalismus, Milton Friedman, das Konzept des Grundeinkommens ursprünglich
entworfen, bevor eine abgerüstete Linke es als vermeintlichen Rettungsanker
entdeckte. Und mit diesem Inhalt wird es auch Wirklichkeit werden - oder gar
nicht.
Es hat sich gezeigt, daß infolge der unvermeidlichen Gesetze der Menschennatur manche menschliche Wesen der Not ausgesetzt sein werden. Diese sind die unglücklichen Personen, die in der großen Lebenslotterie eine Niete gezogen haben.
(Thomas Robert Malthus)
16. Die Aufhebung der Arbeit
Der kategoriale Bruch mit der Arbeit findet keine fertigen und objektiv
bestimmten gesellschaftlichen Lager vor wie der systemimmanent beschränkte
Interessenkampf. Er ist ein Bruch mit der falschen Sachgesetzlichkeit einer
"zweiten Natur", also nicht selber wieder ein quasi-automatischer Vollzug,
sondern negatorische Bewußtheit - Verweigerung und Rebellion ohne irgendein
"Gesetz der Geschichte" im Rücken. Ausgangspunkt kann kein neues
abstrakt-allgemeines Prinzip sein, sondern nur der Ekel vor dem eigenen Dasein
als Arbeits- und Konkurrenzsubjekt und die kategorische Weigerung, auf immer
elenderem Niveau weiter so funktionieren zu müssen.
Trotz ihrer absoluten
Vorherrschaft ist es der Arbeit nie gelungen, den Widerwillen gegen die von ihr
gesetzten Zwänge ganz auszulöschen. Neben allen regressiven Fundamentalismen und
allem Konkurrenzwahn der sozialen Selektion gibt es auch ein Protest- und
Widerstandspotential. Das Unbehagen im Kapitalismus ist massenhaft vorhanden,
aber in den soziopsychischen Untergrund abgedrängt. Es wird nicht abgerufen.
Deshalb bedarf es eines neuen geistigen Freiraums, damit das Undenkbare denkbar
gemacht werden kann. Das Weltdeutungsmonopol des Arbeits-Lagers ist
aufzubrechen. Der theoretischen Kritik der Arbeit kommt dabei die Rolle eines
Katalysators zu. Sie hat die Pflicht, die herrschenden Denkverbote frontal
anzugreifen und ebenso offen wie klar auszusprechen, was sich niemand zu wissen
traut und viele doch spüren: Die Arbeitsgesellschaft ist definitiv am Ende. Und
es gibt nicht den geringsten Grund, ihr Hinscheiden zu bedauern.
Erst die
ausdrücklich formulierte Kritik der Arbeit und eine entsprechende theoretische
Debatte können jene neue Gegenöffentlichkeit schaffen, die unabdingbare
Voraussetzung dafür ist, daß sich eine praktische soziale Bewegung gegen die
Arbeit konstituiert. Die Binnenstreitereien innerhalb des Arbeits-Lagers haben
sich erschöpft und werden immer absurder. Umso dringender ist es, die
gesellschaftlichen Konfliktlinien neu zu bestimmen, entlang derer sich ein
Bündnis gegen die Arbeit formieren kann.
Es gilt also in groben Zügen zu
skizzieren, welche Zielsetzungen für eine Welt jenseits der Arbeit möglich sind.
Das Programm gegen die Arbeit speist sich nicht aus einem Kanon positiver
Prinzipien, sondern aus der Kraft der Negation. Ging die Durchsetzung der Arbeit
mit der umfassenden Enteignung der Menschen von den Bedingungen ihres eigenen
Lebens einher, so kann die Negation der Arbeitsgesellschaft nur darin bestehen,
daß sich die Menschen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang auf höherem
historischen Niveau wieder aneignen. Die Gegner der Arbeit werden deshalb die
Bildung weltweiter Verbünde frei assoziierter Individuen anstreben, die der
leerlaufenden Arbeits- und Verwertungsmaschine die Produktions- und
Existenzmittel entreißen und sie in die eigene Hand nehmen. Nur im Kampf gegen
die Monopolisierung aller gesellschaftlichen Ressourcen und Reichtumspotentiale
durch die Entfremdungsmächte von Markt und Staat lassen sich soziale Räume der
Emanzipation erobern.
Dabei ist auch das Privateigentum auf eine neue und
andere Weise anzugreifen. Für die bisherige Linke war das Privateigentum nicht
die juristische Form des warenproduzierenden Systems, sondern lediglich eine
ominöse subjektive "Verfügungsgewalt" der Kapitalisten über die Ressourcen. So
konnte der absurde Gedanke entstehen, das Privateigentum auf dem Boden der
Warenproduktion überwinden zu wollen. Als Gegensatz zum Privateigentum erschien
daher in der Regel das Staatseigentum ("Verstaatlichung"). Der Staat aber ist
nichts als die äußerliche Zwangsgemeinschaft oder abstrakte Allgemeinheit der
sozial atomisierten Warenproduzenten, das Staatseigentum somit nur eine
abgeleitete Form des Privateigentums - egal, ob es mit dem Adjektiv
"sozialistisch" versehen wird oder nicht.
In der Krise der
Arbeitsgesellschaft wird das Privateigentum ebenso wie das Staatseigentum
obsolet, weil beide Eigentumsformen gleichermaßen den Verwertungsprozeß
voraussetzen. Eben deshalb liegen die entsprechenden sachlichen Mittel zunehmend
brach und bleiben verschlossen. Und eifersüchtig wachen die staatlichen,
betrieblichen und juristischen Funktionäre darüber, daß dies so bleibt und die
Produktionsmittel eher verrotten als für einen anderen Zweck eingesetzt zu
werden. Die Eroberung der Produktionsmittel durch freie Assoziationen gegen die
staatliche und juristische Zwangsverwaltung kann daher nur bedeuten, daß diese
Produktionsmittel nicht mehr in der Form der Warenproduktion für anonyme Märkte
mobilisiert werden.
An die Stelle der Warenproduktion tritt die direkte
Diskussion, Absprache und gemeinsame Entscheidung der Gesellschaftsmitglieder
über den sinnvollen Einsatz der Ressourcen. Die unter dem Diktat des
kapitalistischen Selbstzwecks undenkbare gesellschaftlich-institutionelle
Identität von Produzenten und Konsumenten wird hergestellt. Die entfremdeten
Institutionen von Markt und Staat werden abgelöst durch ein gestaffeltes System
von Räten, in denen vom Stadtteil bis zur Weltebene die freien Assoziationen
nach Gesichtspunkten sinnlicher, sozialer und ökologischer Vernunft über den
Fluß der Ressourcen bestimmen.
Nicht mehr der Selbstzweck von Arbeit und
"Beschäftigung" bestimmt das Leben, sondern die Organisation des sinnvollen
Einsatzes von gemeinsamen Möglichkeiten, die durch keine automatische
"unsichtbare Hand" gesteuert werden, sondern durch bewußtes gesellschaftliches
Handeln. Der produzierte Reichtum wird direkt nach Bedürfnissen angeeignet,
nicht nach "Zahlungsfähigkeit". Zusammen mit der Arbeit verschwindet die
abstrakte Allgemeinheit des Geldes ebenso wie diejenige des Staates. An die
Stelle der getrennten Nationen tritt eine Weltgesellschaft, die keine Grenzen
mehr benötigt, in der sich jeder Mensch frei bewegen und an jedem beliebigen Ort
das universelle Gastrecht beanspruchen kann.
Die Kritik der Arbeit ist eine
Kriegserklärung an die herrschende Ordnung, keine friedliche Nischen-Koexistenz
mit deren Zwängen. Die Parole der sozialen Emanzipation kann nur lauten: Nehmen
wir uns, was wir brauchen! Kriechen wir nicht länger auf Knien unter das Joch
der Arbeitsmärkte und der demokratischen Krisenverwaltung! Die Voraussetzung
dafür ist die Kontrolle neuer sozialer Organisationsformen (freier
Assoziationen, Räte) über die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen der
Reproduktion. Dieser Anspruch unterscheidet die Gegner der Arbeit grundsätzlich
von allen Nischenpolitikern und Kleingeistern eines Schrebergarten-Sozialismus.
Die Herrschaft der Arbeit spaltet das menschliche Individuum. Sie trennt das
Wirtschaftssubjekt vom Staatsbürger, das Arbeitstier vom Freizeitmenschen, das
abstrakt Öffentliche vom abstrakt Privaten, die produzierte Männlichkeit von der
produzierten Weiblichkeit und sie stellt den vereinzelten Einzelnen ihren
eigenen gesellschaftlichen Zusammenhang als eine fremde, sie beherrschende Macht
gegenüber. Die Gegner der Arbeit streben die Aufhebung dieser Schizophrenie in
der konkreten Aneignung des gesellschaftlichen Zusammenhangs durch bewußt und
selbstreflexiv handelnde Menschen an.
Die "Arbeit" ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung der "Arbeit" gefaßt wird .
(Karl Marx, Über Friedrich Lists Buch "Das nationale System der politischen Ökonomie", 1845)
17. Ein Programm der Abschaffungen gegen die Liebhaber der Arbeit
Man wird den Gegnern der Arbeit vorwerfen, sie seien nichts als Phantasten.
Die Geschichte habe erwiesen, daß eine Gesellschaft, die nicht auf den
Prinzipien der Arbeit, des Leistungszwangs, der marktwirtschaftlichen Konkurrenz
und des individuellen Eigennutzes basiere, nicht funktionieren könne. Wollt ihr,
Apologeten des herrschenden Zustands, also behaupten, daß die kapitalistische
Warenproduktion tatsächlich der Mehrheit der Menschen ein auch nur im
entferntesten annehmbares Leben beschert hat? Nennt ihr es "funktionieren", wenn
ausgerechnet das sprunghafte Wachstum der Produktivkräfte Milliarden von
Menschen aus der Menschheit stößt und sie froh sein dürfen, auf Müllhalden zu
überleben? Wenn Milliarden andere das gehetzte Leben unter dem Diktat der Arbeit
nur noch ertragen, indem sie sich isolieren und vereinsamen, indem sie ihren
Geist genußlos betäuben und physisch wie psychisch erkranken? Wenn die Welt in
eine Wüste verwandelt wird, nur um aus Geld mehr Geld zu machen? Nun gut. Das
ist in der Tat die Art und Weise, wie euer grandioses System der Arbeit
"funktioniert". Solche Leistungen allerdings wollen wir nicht vollbringen!
Eure Selbstzufriedenheit beruht auf eurer Ignoranz und auf der Schwäche
eures Gedächtnisses. Die einzige Rechtfertigung, die ihr für eure gegenwärtigen
und zukünftigen Verbrechen findet, ist der Zustand der Welt, der auf euren
vergangenen Verbrechen beruht. Ihr habt vergessen und verdrängt, welcher
Staatsmassaker es bedurfte, bis den Menschen euer gelogenes "Naturgesetz" ins
Hirn gefoltert war, daß es geradezu ein Glück sei, fremdbestimmt "beschäftigt"
zu werden und sich die Lebensenergie für den abstrakten Selbstzweck eures
Systemgötzen aussaugen zu lassen.
Erst mußten alle Institutionen der
Selbstorganisation und der selbstbestimmten Kooperation in den alten
Agrargesellschaften ausgerottet werden, bis die Menschheit überhaupt in der Lage
war, die Herrschaft von Arbeit und Eigennutz zu verinnerlichen. Vielleicht wurde
wirklich ganze Arbeit geleistet. Wir sind keine übertriebenen Optimisten. Wir
können nicht wissen, ob die Befreiung aus diesem konditionierten Dasein gelingen
wird. Es ist offen, ob der Untergang der Arbeit zur Überwindung des Arbeitswahns
führt oder zum Ende der Zivilisation.
Ihr werdet einwenden, mit der
Aufhebung des Privateigentums und des Zwangs zum Geldverdienen werde alle
Tätigkeit aufhören und eine allgemeine Faulheit einreißen. Gebt ihr also zu, daß
euer gesamtes "natürliches" System auf purem Zwang beruht? Und daß ihr deshalb
die Faulheit als Todsünde wider den Geist des Arbeitsgötzen fürchtet? Die Gegner
der Arbeit jedoch haben überhaupt nichts gegen die Faulheit. Eines ihrer
vorrangigen Ziele ist es, die Kultur der Muße wiederherzustellen, die einst alle
Gesellschaften kannten und die vernichtet wurde, um ein rastloses und
sinnvergessenes Produzieren durchzusetzen. Deshalb werden die Gegner der Arbeit
zuerst all die vielen Produktionszweige ersatzlos stillegen, die überhaupt nur
dazu dienen, ohne Rücksicht auf Verluste den verrückten Selbstzweck des
warenproduzierenden Systems aufrechtzuerhalten.
Wir sprechen nicht nur von
den offensichtlich gemeingefährlichen Arbeitsbereichen wie der Auto-, der
Rüstungs- und der Atomindustrie, sondern auch von der Produktion jener
zahlreichen Sinnprothesen und albernen Belustigungsgegenstände, die den
Arbeitsmenschen einen Ersatz für ihr vergeudetes Leben vortäuschen sollen.
Verschwinden wird auch die ungeheure Menge jener Tätigkeiten, die überhaupt nur
deswegen anfallen, weil die Produktmassen durch das Nadelöhr der Geldform und
Marktvermittlung hindurchgepreßt werden müssen. Oder meint ihr, daß noch
Buchhalter und Kostenrechner, Marketingspezialisten und Verkäufer, Vertreter und
Werbetexter vonnöten sind, sobald die Dinge nach Bedarf hergestellt werden und
alle einfach nehmen, was sie brauchen? Und wozu sollte es noch Finanzbeamte und
Polizisten, Sozialarbeiter und Armutsverwalter geben, wenn kein Privateigentum
mehr geschützt, kein soziales Elend verwaltet und niemand für entfremdete
Systemzwänge zugerichtet werden muß?
Wir hören schon den Aufschrei: Die
vielen Arbeitsplätze! Jawohl. Rechnet es ruhig einmal aus, wieviel Lebenszeit
sich die Menschheit täglich raubt, nur um "tote Arbeit" aufzuhäufen, Menschen zu
verwalten und das herrschende System zu schmieren. Wieviel Zeit wir alle in der
Sonne liegen könnten statt uns für Dinge zu schinden, über deren grotesken,
repressiven und zerstörerischen Charakter schon ganze Bibliotheken geschrieben
wurden. Doch keine Angst. Keinesfalls wird alle Tätigkeit aufhören, wenn die
Zwänge der Arbeit verschwinden. Allerdings verändert alle Tätigkeit ihren
Charakter, wenn sie nicht mehr in eine selbstzweckhafte und entsinnlichte Sphäre
von abstrakten Fließzeiten gebannt wird, sondern ihrem eigenen, individuell
variablen Zeitmaß folgen kann und in persönliche Lebenszusammenhänge integriert
ist; wenn auch in großen Organisationsformen der Produktion die Menschen selber
den Ablauf bestimmen, statt vom Diktat der betriebswirtschaftlichen Verwertung
bestimmt zu werden. Warum sich hetzen lassen von den dreisten Anforderungen
einer aufgezwungenen Konkurrenz? Es gilt, die Langsamkeit wiederzuentdecken.
Nicht verschwinden werden natürlich auch jene Tätigkeiten der Hauswirtschaft
und der Pflege von Menschen, die in der Arbeitsgesellschaft unsichtbar gemacht,
abgespalten und als "weiblich" definiert worden sind. Das Kochen ist ebensowenig
zu automatisieren wie das Wickeln von Kleinkindern. Wenn zusammen mit der Arbeit
die Trennung der sozialen Sphären überwunden wird, können diese notwendigen
Tätigkeiten ins Licht bewußter sozialer Organisation jenseits der
geschlechtlichen Zuschreibungen treten. Sie verlieren ihren repressiven
Charakter, sobald sie nicht mehr Menschen unter sich subsumieren und je nach
Umständen und Bedürfnissen von Männern wie Frauen gleichermaßen verrichtet
werden.
Wir sagen nicht, daß jede Tätigkeit dadurch zum Genuß wird. Einige
mehr, andere weniger. Natürlich gibt es immer Notwendiges, das getan werden muß.
Aber wen wollte das schrecken, wenn das Leben nicht davon aufgefressen wird? Und
es wird immer viel mehr geben, was aus freier Entscheidung heraus getan werden
kann. Denn die Tätigkeit ist ja ebenso ein Bedürfnis wie die Muße. Nicht einmal
die Arbeit hat dieses Bedürfnis ganz auslöschen können, sondern es für sich
instrumentalisiert und vampirisch ausgesaugt.
Die Gegner der Arbeit sind
weder Fanatiker eines blinden Aktivismus noch eines ebenso blinden Nichtstuns.
Muße, notwendige Tätigkeit und freigewählte Aktivitäten müssen in ein sinnvolles
Verhältnis gebracht werden, das sich nach Bedürfnissen und Lebenszusammenhängen
richtet. Einmal den kapitalistischen Sachzwängen der Arbeit entwunden, können
die modernen Produktivkräfte die frei disponible Zeit für alle ungeheuer
ausdehnen. Warum Tag für Tag viele Stunden in Fabrikhallen und Büros zubringen,
wenn Automaten aller Art uns den größten Teil dieser Tätigkeiten abnehmen
können? Warum hunderte menschlicher Körper schwitzen lassen, wenn einige
Mähdrescher genügen? Warum Geist auf eine Routine verschwenden, die auch ein
Computer ohne weiteres ausführt?
Allerdings kann für diese Zwecke nur
der geringste Teil der Technik in seiner kapitalistischen Form übernommen
werden. Das Gros der technischen Aggregate ist völlig umzuformen, wurden diese
doch nach den bornierten Maßstäben der abstrakten Rentabilität gebaut. Viele
technische Möglichkeiten sind andererseits aus demselben Grund gar nicht erst
entwickelt worden. Obwohl solare Energie an jeder Ecke gewonnen werden kann,
setzt die Arbeitsgesellschaft zentralisierte und lebensgefährliche Kraftwerke in
die Welt. Und obwohl schonende Methoden der agrarischen Produktion längst
bekannt sind, schüttet das abstrakte Geldkalkül tausenderlei Gifte ins Wasser,
zerstört die Böden und verpestet die Luft. Aus rein betriebswirtschaftlichen
Gründen werden Bauteile und Lebensmittel dreimal um den Globus gejagt, obwohl
die meisten Dinge ohne große Transportwege leicht vor Ort hergestellt werden
können. Ein erheblicher Teil der kapitalistischen Technik ist ebenso sinnlos und
überflüssig wie der dazugehörige Aufwand menschlicher Energie.
Wir
sagen euch damit nichts Neues. Und doch werdet ihr niemals Konsequenzen aus dem
ziehen, was ihr auch selber sehr gut wißt. Denn ihr verweigert euch jeder
bewußten Entscheidung darüber, welche Produktions-, Transport- und
Kommunikationsmittel sinnvollerweise einzusetzen und welche schädlich oder
schlicht überflüssig sind. Je hektischer ihr euer Mantra der demokratischen
Freiheit abnudelt, desto verbissener weist ihr die elementarste soziale
Entscheidungsfreiheit zurück, weil ihr weiterhin dem herrschenden Leichnam der
Arbeit und seinen Pseudo-"Naturgesetzen" dienen wollt.
Daß die Arbeit aber selbst nicht nur unter den jetzigen Bedingungen, sondern insofern überhaupt ihr Zweck die bloße Vergrößerung des Reichtums ist, ich sage, daß die Arbeit selbst schädlich, unheilvoll ist, das folgt, ohne daß der Nationalökonom (Adam Smith) es weiß, aus seinen eigenen Entwicklungen.
(Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844)Unser Leben ist der Mord durch Arbeit,
wir hängen 60 Jahre lang am Strick und zappeln,
aber wir werden uns losschneiden.
(Georg Büchner, Dantons Tod, 1835)
18. Der Kampf gegen die Arbeit ist antipolitisch
Die Überwindung der Arbeit ist alles andere als eine wolkige Utopie. Die
Weltgesellschaft kann in der bestehenden Form keine 50 oder 100 Jahre mehr
weitermachen. Daß die Gegner der Arbeit es mit dem bereits klinisch toten
Arbeitsgötzen zu tun haben, macht ihre Aufgabe freilich nicht unbedingt
leichter. Denn je mehr die Krise der Arbeitsgesellschaft sich zuspitzt und alle
Reparaturversuche als Fehlschläge enden, desto mehr wächst auch die Kluft
zwischen der Vereinzelung der hilflosen sozialen Monaden und den Anforderungen
einer gesamtgesellschaftlichen Aneignungsbewegung. Die zunehmende Verwilderung
der sozialen Verhältnisse in großen Teilen der Welt zeigt, daß sich das alte
Arbeits- und Konkurrenzbewußtsein auf immer niedrigerem Niveau fortsetzt. Die
schubweise Entzivilisierung scheint trotz aller Impulse eines Unbehagens im
Kapitalismus die naturwüchsige Verlaufsform der Krise zu sein.
Gerade bei
derart negativen Aussichten wäre es fatal, die praktische Kritik der Arbeit als
umfassendes gesamtgesellschaftliches Programm hintanzustellen und sich darauf zu
beschränken, eine prekäre Überlebenswirtschaft in den Ruinen der
Arbeitsgesellschaft zu errichten. Die Kritik der Arbeit hat nur eine Chance,
wenn sie gegen den Strom der Entgesellschaftung ankämpft, statt sich davon
mitreißen zu lassen. Aber zivilisatorische Standards sind nicht mehr mit der
demokratischen Politik zu verteidigen, sondern nur noch gegen sie.
Wer die
emanzipatorische Aneignung und Transformation des kompletten gesellschaftlichen
Zusammenhangs anstrebt, kann schwerlich die Instanz ignorieren, die bislang
dessen Rahmenbedingungen organisiert. Es ist unmöglich, gegen die Enteignung der
eigenen gesellschaftlichen Potenzen zu rebellieren, ohne sich mit dem Staat zu
konfrontieren. Denn der Staat verwaltet nicht nur ungefähr die Hälfte des
gesellschaftlichen Reichtums, er sichert auch die zwanghafte Unterordnung aller
gesellschaftlichen Potentiale unter das Gebot der Verwertung. Sowenig die Gegner
der Arbeit Staat und Politik ignorieren können, ebensowenig ist mit ihnen Staat
und Politik zu machen.
Wenn das Ende der Arbeit auch das Ende der Politik
ist, dann wäre eine politische Bewegung für die Aufhebung der Arbeit ein
Widerspruch in sich. Die Gegner der Arbeit richten Forderungen an den Staat,
aber sie bilden keine politische Partei und sie werden auch keine bilden. Der
Zweck der Politik kann es nur sein, den Staatsapparat zu erobern, um mit der
Arbeitsgesellschaft weiterzumachen. Die Gegner der Arbeit wollen daher nicht die
Schaltzentralen der Macht besetzen, sondern sie ausschalten. Ihr Kampf ist nicht
politisch, sondern antipolitisch.
Untrennbar sind Staat und Politik der
Moderne mit dem Zwangssystem der Arbeit verquickt und deshalb müssen sie
zusammen mit diesem verschwinden. Das Gerede von einer Renaissance der Politik
ist nur der Versuch, die Kritik des ökonomischen Terrors auf ein positiv
staatsbezogenes Handeln zurückzuzerren. Selbstorganisation und Selbstbestimmung
aber sind das genaue Gegenteil von Staat und Politik. Die Eroberung
sozial-ökonomischer und kultureller Freiräume vollzieht sich nicht auf dem
politischen Umweg, Dienstweg und Irrweg, sondern als Konstitution einer
Gegengesellschaft.
Freiheit heißt, sich weder vom Markt verwursten noch vom
Staat verwalten zu lassen, sondern den gesellschaftlichen Zusammenhang in
eigener Regie zu organisieren - ohne Dazwischenkunft entfremdeter Apparate. In
diesem Sinne geht es für die Gegner der Arbeit darum, neue Formen sozialer
Bewegung zu finden und Brückenköpfe einzunehmen für eine Reproduktion des Lebens
jenseits der Arbeit. Es gilt, die Formen einer gegengesellschaftlichen Praxis
mit der offensiven Verweigerung der Arbeit zu verbinden.
Mögen die
herrschenden Mächte uns für verrückt erklären, weil wir den Bruch mit ihrem
irrationalen Zwangssystem riskieren. Wir haben nichts zu verlieren als die
Aussicht auf die Katastrophe, in die sie uns hineinsteuern. Wir haben eine Welt
jenseits der Arbeit zu gewinnen.
Proletarier aller Länder, macht Schluß!
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Juni 1999
Herausgeberin: Zeitschrift Krisis - Beiträge zur Kritik der
Warengesellschaft, 54 S., 3 Euro (im Handverkauf)
Bezug über: Förderverein
& Redaktion Krisis e.V. * Postfach 2111 * D-91011 Erlangen
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Internet: www.krisis.org
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