Aufgrund der zunehmenden
Repressionen fordern Arbeitsloseninitiativen seit Jahren eine anerkannte Selbstvertretung.
Wie soll die in der Praxis ausschauen und warum ist es so schwierig, mit dieser
Forderung durchzudringen?
Ein
Interview mit Wolfgang Schmidt und Romana Scheiblmaier (Projekt Konstruktive Arbeitslosigkeit, Graz):
Was
ist euer Ansatz, warum setzt ihr euch für eine Einbindung Arbeitsloser in
alle Entscheidungen, die sie betreffen, ein?
w.s.
: Transparenz, Information und Einbindung – das ist eigentlich die Bringschuld
derer, die ein demokratisches System behaupten zu organisieren. Und jenen, die
immer von repräsentativer Demokratie reden, sei gesagt:
Gerade das Problem der fehlenden Information und des mangelnden
Wissensstandes löst die repräsentative Demokratie nicht. Wenn die Betroffenen
für zu blöd gehalten werden, um in ihrer eigenen Angelegenheit zu entscheiden,
was ist dann eigentlich die Grundlage der Wahl? Demokratie ohne Beteiligung ist
keine Demokratie.
r.s.:
Während das so genannte „Expertentum“ und die wohlwollende (Zwangs-)Behandlung
von oben herab überhand nimmt, werden jene, die ihre eigene Lebenssituation am
besten kennen, von Entscheidungen ausgeschlossen, und auffälligerweise umso
mehr, je sozial schwächer. Was kommt wohl
heraus, wenn sich ein Vorstandsmensch Hartz mit seinem Freund
Bundeskanzler Schröder über die Höhe der Arbeitslosenunterstützung
einigt?
Die
Frage, OB Beteiligung legitim sei, ist strenggenommen verfassungswidrig bzw.
schlicht undemokratisch! Die zentrale Frage ist vielmehr, WIE eine Beteiligung
der Betroffenen aussehen kann und wodurch sie erst ermöglicht
wird.
Warum
gibt es eurer Meinung nach keine breite Arbeitslosenbewegung?
r.s.:.
Es ist absurd, zu glauben, dass sozial ausgegrenzte, vereinzelte Menschen, die
schlimmstenfalls täglich darum
kämpfen müssen, die eigene Existenz halbwegs zu sichern, sich aus dem Nichts
heraus zusammentun und eine eigene Institution
aufbauen.
Die
notwendigen Ressourcen, damit eine Beteiligung Betroffener überhaupt erst
möglich wird, können system-logischerweise jene geben, die ArbeitnehmerInnen
vertreten („befreundete Organisationen/Institutionen“ wie ArbeiterInnenkammer
und ÖGB; nicht zuletzt ist drohende Arbeitslosigkeit ein "geeignetes Mittel" um
jenen Zugeständnisse ab zu pressen, die noch einen Arbeitsplatz haben). Erst
wenn ausreichende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, können sich
Arbeitslose formieren um Inhalte und Forderungen zu erarbeiten. Aussagen von
Gewerkschafts- und ArbeiterInnenkammerseite à la "Es gibt keine engagierten
Arbeitslosen, deshalb brauchen wir auch keine Ressourcen zur Verfügung
stellen" sind schlichtweg eine
Verkennung, ja: Verkehrung der Situation. Dabei muss auch klar sein, dass, wer
etwa Geld für Beteiligung/Mitbestimmung gibt, nicht (mehr) anschafft und über
das Ergebnis bestimmt.
Welche
Schritte würden als nächstes folgen?
w.s.:
Die Beteiligten selbst müssen sich klar werden, was Selbstvertretung bedeutet
und ob sie sich diese zutrauen. Fehlende Selbstvertretung bedeutet in jedem
Fall, dass mensch bei einer Interessenabwägung nicht berücksichtigt wird, kein
Ausgleich stattfindet.
Im
Idealfall schließen sich in einem Konkurrenzsystem all jene, die in einer
ähnliche (Interessens-)Lage sind, zusammen - arbeitslose InländerInnen,
MigrantInnen, SozialhilfeempfängerInnen, prekär Beschäftigte ... -, um das
Prinzip "Teile (die Menschen) und herrsche!" zu
durchbrechen.
Welche
(eine oder mehrere) zentrale Forderung(en) im Zuge eines repräsentativen(!)
Beteiligungsprozesses herauskommen, ist eine offene Frage, die an dessen Ende,
als dessen Ergebnis entstehen soll. Deshalb sollte die einzige - weil:
notwendige Bündelung der wenigen Ressourcen[1]
- momentane Forderung sein: Gebt uns Ressourcen, um einen repräsentativen
Beteiligungsprozess zu ermöglichen, also: damit wir diskutieren können, WELCHE
Forderungen WIR stellen! - bzw. auch WO im System wir sie stellen
…
Zuerst
erschienen in : guernica 6/2005, Zeitung der Werkstatt Frieden und Solidarität
Linz
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