kurz gesagt: die meisten arbeitslosen, insbesondere frauen, arbeiten - "nur" nicht bezahlt (das soll übrigens auch das Wort "erwerbs-arbeitslos" ausdrücken).

so unterschiedlich und vielfältig wie die menschen sind auch die "arbeitslosen": während die einen leiden, nichts zu tun haben, gibt es für andere genug zu tun und wieder andere leiden nicht unter dem nichts-zu-tun-zu-haben ...

und manche meinen gar, es sei kein wunder, dass es bei unsrem, besser: durch unser system zu wenig arbeitsplaetze gibt:

 

Das Recht auf Faulheit

Romana Scheiblmaier

 

Der Verkauf der Ware Arbeitskraft wird durch Rationalisierungsprozesse in der Industrie immer überflüssiger und schwieriger. Trotzdem reden PolitikerInnen aller Couleur der Vollbeschäftigung (40-Stunden-Woche) das Wort. Die Industrie will Arbeitszeiten sogar verlängern (Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer fordern in Österreich bis zu 10 Stunden Normalarbeitszeit täglich - OHNE Lohnausgleich)[1], und kommt wie üblich mit der Keule "Standortsicherung" daher.

Dazu kommt noch das System der Repression gegen all jene, die im Konkurrenzkampf um die raren Arbeitsplätze nicht mitkommen: Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose werden radikal verschärft - jeder noch so miese, schlecht bezahlte Job muss in Deutschland bereits angenommen werden oder das Arbeitslosengeld wird ausgesetzt. Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden im Hartz-Programm zusammengelegt (was bedeutet, dass Menschen mit weit weniger Geld auskommen müssen), auch in Österreich droht eine Zusammenlegung von Notstands- und Sozialhilfe (im Regierungsprogramm angedacht; die durchschnittliche Sozialhilfe liegt zwischen 370 und 580 Euro monatlich; SozialhilfebezieherInnen tauchen in keiner Arbeitslosenstatistik mehr auf!).

 

Lohn-Arbeit und Kapital sind zwei Seiten einer Medaille

 

Menschliche Arbeitskraft ist im kapitalistischen System eine Ware wie jede andere auch. Eine gemeinsame Bestimmung über Sinn und Zweck des eigenen Tuns, Mitbestimmung über quali­tative Inhalte der Produktion sieht der Kapitalismus nicht vor. Was zählt, ist der optimale Verkauf der Ware Arbeitskraft, die notwendig ist, um Mehrwert (Profit) zu produzieren, ihre "Verwurstung zur Geldmaterie".[2] Das dadurch angesammelte Kapital muss in einem irrationalen Selbstzweck immer wieder neu verwertet werden. Was, wofür und mit welchen Folgen (für Mensch und Umwelt) produziert wird, ist von diesem Standpunkt aus egal. Hauptsache, es rentiert sich, Hauptsache wir haben ein Wirtschaftswachstum.

"So werden trotz Bedarf keine Häuser gebaut, wenn kein Geld da ist, obwohl es Menschen gibt, die das notwendige Wissen und die Zeit haben, und obwohl reichlich Rohstoffe und Maschinen zur Verfügung stehen. Arbeit hat also objektiv den Erwerb von Geld zum Ziel und nicht die Befriedigung konkreter Bedürfnisse. Arbeit und konkrete Bedürfnisse sind (im Kapitalismus) dem Diktat der Finanzierbarkeit unterworfen."[3]

 

Karl Marx kritisierte, "dass in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets un­angetastet blieb und es sich nur um eine andere Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andere Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt und die Herrschaft aller Klassen mit den Klassen selbst aufhebt (...)."[4]

Damit meinte Marx natürlich nicht, dass in einer befreiten, gerechten Gesellschaft niemand mehr arbeiten muss. Ihm ging es darum, dass menschliche Tätigkeit der Befriedigung konkreter Bedürfnisse dienen soll, und nicht der Anhäufung von Kapital.

 

Paul Lafargue, ein enger Freund und Schwiegersohn von Karl Marx, Mitglied der 1. Internationalen ArbeiterInnenassoziation, kritisierte in seiner erstmals 1880 veröffentlichten Polemik "Le droit à la paresse" (Das Recht auf Faulheit)[5]  die Arbeit-Sucht als "ein verderbliches Dogma" der  Priester, Ökonomen und Moralisten, von dem die ArbeiterInnenklasse sich ver­führen lässt. Die kapitalistische Fabrik, die in ihrer "Gier nach menschlicher Arbeit" Männer, Frauen und Kinder (selbst diese mussten im 18. und 19. Jahrhundert in Europa für einen er­bärmlichen Lohn in Fabriken und Bergwerken bis zu 16 Stunden täglich arbeiten) schamlos auspresst, töte alles Menschliche ab.

"Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den gesellschaftlichen Reichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein. Das ist das unerbittliche Gesetz der kapitalistischen Produktion."[6]

Lafargue sah einen ursächlichen Zusammenhang der Arbeitsucht mit den von der kapitalisti­schen Produktionsweise verursachten Krisen.

"Dadurch, dass die Arbeiter den trügerischen Reden der Ökonomen Glauben schenken und Leib und Seele dem Laster Arbeit ausliefern, stürzen sie die ganze Gesellschaft in jene indu­striellen Krisen der Überproduktion, die den gesellschaftlichen Organismus in Zuckungen versetzen. Dann werden wegen Überfluss an Waren und Mangel an Abnehmern die Werke geschlossen, und mit seiner tausendsträhnigen Geißel peitscht der Hunger die arbeitende Be­völkerung. Betört von dem Dogma der Arbeit sehen die Proletarier nicht ein, dass die Mehr­arbeit, der sie sich in der Zeit des angeblichen Wohlstandes unterzogen haben, die Ursache ihres jetzigen Elends ist(...)."

 

Menschenverachtendes System

 

Anstatt eine gerechte Verteilung der Produkte und des Reichtums und eine "allgemeine Belu­stigung" (Faulheit und Muße) in den Zeiten der Krise zu fordern, verkaufen diese "Elenden" (Lafargue) lieber ihre Arbeitskraft um die Hälfte billiger.

"Und die Herren  industriellen Menschenfreunde benutzen die Arbeitslosigkeit, um noch billi­ger zu produzieren."

"Vordenker" in England, dem "Mutterland des Kapitalismus" wollten alle, die trotzdem keine Arbeit finden, die "übriggebliebenen" Armen, in Arbeitshäuser, die idealerweise "Häuser des Schreckens" sein müssten, einsperren.[7]

Jene Menschen, denen gar nichts anderes übrig bleibt als ihre Arbeitskraft billiger zu verkaufen (MigrantInnen) werden heute zu Sündenböcken gemacht, anstatt das System der Ausbeutung an sich in Frage zu stellen, und "ArbeiterInnenparteien" setzen sich dafür ein, dass wir nicht von "Billigarbeitskräften" "überschwemmt" werden.

 

Lohn-Arbeit wird obsolet

 

"Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte es für einen kurzen historischen Augenblick so scheinen, als hätte sich die Arbeitsgesellschaft in den fordistischen Industrien zu einem System "immerwährender Prosperität" konsolidiert, in dem die Unerträglichkeit des zwanghaften Selbstzwecks durch Massenkonsum und Sozialstaat dauerhaft zu befrieden wäre.(...) Mit der dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik stößt die Arbeitsgesellschaft an ihre ab­solute historische Schranke."[8]

 

Dass diese Schranke irgenwann erreicht werden musste, liegt im unheilbaren Selbstwiderspruch des kapitalistischen Systems. Einerseits muss massenhaft menschliche Arbeitskraft aufgesaugt werden, andererseits erzwingt das Gesetz der betriebswirtschaftlichen Konkurrenz eine perma­nente Produktivitäts-Steigerung bei der menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt wird.

Wer die auf den Markt geworfenen Waren noch kaufen soll, wenn immer mehr Menschen sich diese nicht mehr leisten können, steht auf einem anderen Blatt.

 

"Was die Arbeiter, verdummt durch ihr Laster, nicht einsehen wollen: man muss, um Arbeit für alle zu haben, sie rationieren wie Wasser auf einem Schiff in Not."

 

Was Lafargue bereits 1880 forderte (3 Stunden Arbeit täglich genügen!), gilt heute mehr denn je. Und da Maschinen die meisten Arbeiten für uns erledigen, wäre es heute leichter denn je, dass wir weniger Zeit mit langweiligen Arbeiten vergeuden müssten, und mehr Zeit für das, was wir wirklich gerne tun, hätten. Vorausgesetzt, das Zwangsystem der Lohnarbeit wäre ab­geschafft und der gesellschaftlich produzierte Reichtum gerecht verteilt.

 

 

Romana Scheiblmaier

 

 

Erstmals erschienen in „Ausreißer“, Grazer Wandzeitung, Nr.2., Okt. 2004

 

Siehe: http://kig.mur.at



[1]S. "Kleine Zeitung" v. 9. Septmeber 2004, S.28.

 

[2] "Manifest gegen die Arbeit" der Gruppe Krisis. Zum Herunterladen auf www.krisis.org

 

[3]Zitat aus einem Flugblatt anlässlich einer Demonstration von Arbeitenden und Nichtarbeitenden in Thüringen am 6. Mai 2003.

 

[4]Marx-Engels-Werke, Bd. 3, S.69.

 

[5]1883 als Broschüre neu herausgegeben und in mehrere Sprachen übersetzt, auf deutsch unter dem Titel "Das Recht auf Faulheit, Widerlegung des "Rechts auf Arbeit" von 1848". Im Internet auf www.wildcat-www.de zum Herunterladen.

 

[6]Ebd.

 

[7]Heute will man sie zum Hundstrümmerl-Aufklauben verpflichten, damit sie es sich in der "sozialen Hängematte" (Nationalratspräsident Andreas Khol)  nicht zu gut gehen lassen.

 

[8]"Manifest gegen die Arbeit" der Gruppe Krisis.

 

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